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Deutschland - Eine Frage der wechselnden Begrifflichkeiten ermöglicht den EU-Betrug - Teil 2

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 Fortsetzung: " Deutschland - Eine Frage der wechselnden Begrifflichkeiten ermöglicht den EU-Betrug - Teil 1"

Arbeiter aus Duisburg demonstrieren für die Beibehaltung des passiven Widerstands, 1923.

 7. Propaganda und „Abwehrkampf“ der deutschen Seite

Die Pro­pa­gan­da der deut­schen Sei­te war zu­nächst we­nig auf­ein­an­der ab­ge­stimmt, ja re­gel­recht un­ko­or­di­niert, da die Kom­pe­ten­zen zwi­schen der Reichs­re­gie­rung und den ein­zel­nen be­trof­fe­nen Län­dern nicht ein­deu­tig ge­re­gelt wor­den wa­ren. Zu­dem war die Kom­mu­ni­ka­ti­on der nach­ge­ord­ne­ten Be­hör­den un­ter­ein­an­der so­wie zwi­schen nach­ge­ord­ne­ten und Obers­ten Be­hör­den man­gel­haft. Zu­ta­ge trat dies ins­be­son­de­re in der Zeit der Ruhr­be­set­zung und des pas­si­ven Wi­der­stan­des.[38]  Vor al­lem zwei In­sti­tu­tio­nen wa­ren es, wel­che die „Ab­wehr“ von deut­scher Sei­te zu or­ga­ni­sie­ren ver­such­ten: das Reichs­mi­nis­te­ri­um für die be­setz­ten Ge­bie­te so­wie die „Rhei­ni­sche Volks­pfle­ge“ (RVP).

Französische Panzerfahrer vor dem Landgericht in Duisburg, 1922.

Da­s Reichs­mi­nis­te­ri­um für die be­setz­ten Ge­bie­te wur­de durch ei­nen Er­lass des Reichs­prä­si­den­ten vom 24.8.1923 er­rich­tet. Aus­schlag­ge­bend war die Bil­dung des Ka­bi­netts Stre­se­mann im glei­chen Mo­nat. Her­vor­ge­gan­gen war das Mi­nis­te­ri­um aus der Ab­tei­lung IV des Reichs­mi­nis­te­ri­ums des In­nern mit der Be­zeich­nung „Staats­se­kre­ta­ri­at für die be­setz­ten rhei­ni­schen Ge­bie­te“. Die­ses wie­der­um war am 3.5.1921 als Zen­tral­stel­le für die An­ge­le­gen­hei­ten der be­setz­ten Ge­bie­te ge­schaf­fen wor­den. Der Auf­ga­ben­be­reich war breit ge­streut und um­fass­te im Grun­de al­le Ge­bie­te des öf­fent­li­chen Le­bens, die von dem Ein­fluss der Be­sat­zung be­trof­fen wa­ren. Das Reichs­mi­nis­te­ri­um für die be­setz­ten Ge­bie­te hat­te zwei we­sent­li­che Ziel­set­zun­gen: die Be­lan­ge des Rei­ches im be­setz­ten Ge­biet ge­gen­über den Be­sat­zungs­mäch­ten zu wah­ren und – wich­ti­ger noch – die Ver­tre­tung der In­ter­es­sen der be­setz­ten Ge­bie­te bei der deut­schen Reichs­re­gie­rung.[39]

Am Rhein selbst wirk­te seit En­de 1918 ein „Kom­mis­s­ar“, der die deut­schen In­ter­es­sen vor Ort im be­setz­ten rhei­ni­schen Ge­biet zu ver­tre­ten hat­te. Zu­nächst wur­de der In­dus­tri­el­le Ot­to Wolff (1881-1940) gleich­sam als „Reichs­in­stanz für Be­sat­zungs­fra­gen“[40]  zum „Kom­mis­sar der deut­schen Waf­fen­still­stands­kom­mis­si­on in den be­setz­ten rhei­ni­schen Ge­bie­ten“ er­nannt. Um Syn­er­gie­ef­fek­te zu nut­zen und Rei­bungs­ver­lus­te zu ver­mei­den, ei­nig­ten sich Reich und Preu­ßen auf die Schaf­fung ei­nes ge­mein­sa­men „Reichs- und Preu­ßi­schen Staats­kom­mis­sar für die be­setz­ten rhei­ni­schen Ge­bie­te“ mit Sitz in Ko­blenz. Die­sen Pos­ten füll­te zu­nächst – seit dem 19.6.1919 – auf preu­ßi­schen Vor­schlag der vor dem Ru­he­stand ste­hen­de Re­gie­rungs­prä­si­dent von Köln, Karl von Starck (1867-1937), aus. Schlie­ß­lich wur­de das Kom­mis­sa­ri­at dem am 24.8.1923 er­rich­te­ten „Reichs­mi­nis­te­ri­um für die be­setz­ten Ge­bie­te“ un­ter­stellt, be­vor es am 30.9.1930 auf­ge­löst wur­de.

Bei der „Rhei­ni­schen Volks­pfle­ge“ han­del­te es sich um ei­ne nicht­amt­li­che „Tarn­or­ga­ni­sa­ti­on“, die im Auf­trag der Reichs­re­gie­rung die an­ti­fran­zö­si­sche Pro­pa­gan­da im Wes­ten fi­nan­zier­te und ko­or­di­nier­te. Sie war im Ju­ni 1920 aus der im Au­gust 1919 im be­setz­ten Ge­biet zur Ab­wehr der Ab­son­de­rungs­be­stre­bun­gen ein­ge­rich­te­ten „Be­ge­stel­le“ (B.-G.-Stel­le [Re­fe­rat]) der „Reichs­zen­tra­le für Hei­mat­diens­t“ (RfH) her­vor­ge­gan­gen. Nach der Er­rich­tung des Staats­se­kre­ta­ria­tes für die be­setz­ten Ge­bie­te im Reichs­mi­nis­te­ri­um des In­nern im Mai 1921 wur­de die RVP die­sem Staats­se­kre­ta­ri­at un­ter­stellt. Im Jah­re 1922 wur­de sie als „nach­ge­ord­ne­te Stel­le nicht­amt­li­chen Cha­rak­ter­s“ be­zeich­net, seit 1923 stand sie un­ter der Dienst­auf­sicht des Reichs­mi­nis­te­ri­ums für die be­setz­ten Ge­bie­te, trat nach au­ßen je­doch als pri­va­te Or­ga­ni­sa­ti­on auf. Zum 30.9.1930 wur­de die RVP auf­ge­löst.[41]  Fort­bil­dungs­maß­nah­men für His­to­ri­ker und Leh­rer ge­hör­ten eben­so zu ih­rem Auf­ga­ben­pro­fil wie die Pu­bli­ka­ti­on pro­pa­gan­dis­ti­schen Schrift­tums. Zu den ge­för­der­ten Au­to­ren zähl­ten un­ter an­de­re­m Bru­no Kuske, Her­mann Oncken (1869-1945), Aloys Schul­te un­d Paul Went­z­cke.

Plakat: Hände weg vom Ruhrgebiet!, Grafiker: Theo Matejko. (Bundesarchiv Plak 002-012-025)

Ei­ne tra­gen­de Rol­le im „Ab­wehr­kampf“ kam dem Be­grün­der und Di­rek­tor des Düs­sel­dor­fer Stadt­ar­chivs Paul Went­z­cke zu, der von 1926 bis 1933 Lei­ter des His­to­ri­schen Mu­se­ums der Stadt und von 1928 bis 1933 Vor­sit­zen­der des Düs­sel­dor­fer Ge­schichts­ver­eins war. Went­z­cke agier­te an der Schnitt­stel­le von his­to­ri­scher Wis­sen­schaft, Ver­wal­tung und Po­li­tik und wur­de wäh­rend der ge­sam­ten Be­sat­zungs­zeit – so­wie auch dar­über hin­aus – nicht mü­de, den deut­schen Cha­rak­ter des Rheins ge­gen al­le tat­säch­li­chen oder ver­meint­li­chen Be­dro­hun­gen in schar­fer, na­tio­na­lis­ti­scher Form her­vor­zu­he­ben. Da­bei ver­hehl­te der aus ei­ner pro­tes­tan­ti­schen preu­ßi­schen Be­am­ten­fa­mi­lie stam­men­de Bur­schen­schaf­ter Went­z­cke sei­ne an­ti­so­zia­lis­ti­sche Ein­stel­lung nicht. Und man kann hin­zu­fü­gen: auch die an­ti­al­li­ier­te, ins­be­son­de­re an­ti­fran­zö­si­sche nicht. Die Vor­be­rei­tun­gen zur rhei­ni­schen Jahr­tau­send­fei­er ver­an­lass­ten ihn, sich in meh­re­ren Pu­bli­ka­tio­nen (1923, 1925, 1929-1934) dem „Ab­wehr­kampf“ an Rhein un­d R­uhr zu wid­men. Er war auch ma­ß­geb­lich an dem Zu­stan­de­kom­men der im Sin­ne des „Ab­wehr­kamp­fes“ kom­men­tier­ten Bi­blio­gra­phie „Zehn Jah­re Rhein­land­be­set­zun­g“ be­tei­ligt, die der Di­rek­tor der Pfäl­zi­schen Lan­des­bi­blio­thek Spey­er, Ge­org Reis­mül­ler, und des­sen Mit­ar­bei­ter Jo­sef Hof­mann zu­sam­men­stell­ten und 1929 ver­öf­fent­lich­ten.[42]

Die Nach­ru­fe auf Went­z­cke zeu­gen nicht nur von des­sen po­li­ti­scher Ein­stel­lung be­zie­hungs­wei­se sei­ner geis­ti­gen Hal­tung, von des­sen deutsch-na­tio­nal in­spi­rier­tem Kampf ge­gen die Rhein­land­be­set­zung so­wie ge­gen jeg­li­che Ten­den­zen zur Tren­nung des be­setz­ten Ge­bie­tes von Preu­ßen be­zie­hungs­wei­se von Deutsch­land, son­dern auch von der recht un­kri­ti­schen Sicht, die man in wei­ten Be­völ­ke­rungs­krei­sen – auch in der Ge­schichts­wis­sen­schaft und im Ar­chiv­we­sen – zu Be­ginn der 1960er Jah­re noch auf das Phä­no­men des „Ab­wehr­kamp­fes“ wäh­rend der Rhein­land­be­set­zung hat­te.[43]  Sie bie­ten so­mit ei­nen Blick in die Re­zep­ti­ons­ge­schich­te der Be­sat­zungs­zeit. Die jün­ge­re For­schung setzt an­de­re Maß­stä­be an: „Went­z­cke ge­hör­te zu den ak­tivs­ten rechts­ra­di­ka­len, an­ti­west­li­chen Pu­bli­zis­ten im Rhein­land wäh­rend der Wei­ma­rer Re­pu­blik“.[44]

Ei­ne wich­ti­ge und pro­mi­nen­te Rol­le spiel­te auch das 1920 an der Bon­ner Uni­ver­si­tät ge­grün­de­te In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de der Rhein­lan­de (IGL). Dort mach­te sich der Ein­fluss der po­li­tisch-kul­tu­rell in­spi­rier­ten „Hei­mat­be­we­gun­g“ be­merk­bar. Das In­sti­tut, das ei­ne Brü­cke zwi­schen lan­des- so­wie volks­kund­li­cher For­schung und nicht­aka­de­mi­scher Hei­mat­ge­schich­te schlug, hat­te laut dem Or­di­na­ri­us für rhei­ni­sche Lan­des­ge­schich­te, Franz Stein­bach, die Auf­ga­be, „die preu­ßi­sche Hoch­schu­le am Rhein in im­mer en­ge­re Füh­lung mit der rhei­ni­schen Be­völ­ke­rung zu brin­gen“.[45]  An­ge­sichts der po­li­ti­schen Ge­samt­si­tua­ti­on – Rhein­land­be­set­zung, Ei­gen­be­stre­bun­gen in ver­schie­de­nen Re­gio­nen Preu­ßens und des Rei­ches, Be­dro­hung der Re­pu­blik von den po­li­ti­schen Rän­dern her – be­för­der­ten die Prot­ago­nis­ten die Ver­bin­dung von re­gio­na­ler und na­tio­na­ler Iden­ti­tät. Mit an­de­ren Wor­ten: „Obers­tes Ziel ei­ner rhei­ni­schen Ge­schich­te muss­te es in die­ser kri­ti­schen La­ge sein, das Rhein­land durch die Jahr­hun­der­te hin­durch als deut­sches Land zu er­wei­sen“.[46]

Der in der „West­for­schun­g“ en­ga­gier­te Lan­des- und Wirt­schafts­his­to­ri­ker Her­mann Au­bin, Be­grün­der des Bon­ner In­sti­tuts, war be­müht, ei­ne im „na­tio­na­len­ ­Ab­wehr­kampf“ brauch­ba­re rhei­ni­sche Stam­mes-Iden­ti­tät zu kre­ieren. In­dem er die Dis­zi­plin der „Ge­schicht­li­chen Lan­des­kun­de“ dem po­li­ti­schen Ab­wehr­kampf, den volks- und na­tio­nal­po­li­ti­schen In­ter­es­sen dienst­bar mach­te, be­gab sich Au­bin „dau­er­haft in das Span­nungs­feld von Wis­sen­schaft und Po­li­ti­k“.[47]  Er war mit­ver­ant­wort­lich für die „Po­li­ti­sie­rung his­to­ri­scher For­schun­g“. Die Ber­li­ner Be­hör­den er­hoff­ten sich von Au­bins West- und Kul­tur­raum­for­schung „nütz­li­che ge­schichts­po­li­ti­sche Ar­gu­men­te zur Ab­wehr so­wohl der fran­zö­si­schen Rhein­pro­pa­gan­da als auch des rhei­ni­schen Se­pa­ra­tis­mus“.[48]  Die West­for­schung war so­mit letzt­lich Teil ei­ner „ge­samt­ge­sell­schaft­lich an­ge­leg­ten Be­we­gung ge­gen den Ver­sailler Ver­trag und ge­gen die fran­zö­si­sche Rhein­land­be­set­zun­g“.[49]

Auch das Pro­gramm des Vor­sit­zen­den der Ge­sell­schaft für Rhei­ni­sche Ge­schichts­kun­de, des na­tio­nal­li­be­ra­len Köl­ner Stadt­ar­chi­vars Jo­seph Han­sen (1862-1943), für die Ver­öf­fent­li­chung ei­ner rhei­ni­schen Ge­schich­te at­met in je­der Zei­le die na­tio­na­le Ziel­set­zung und zeugt von der In­stru­men­ta­li­sie­rung der re­gio­na­len Ge­schich­te be­zie­hungs­wei­se der re­gio­na­len Iden­ti­tät im Diens­te des na­tio­na­len Ge­dan­kens: „Das Be­dürf­nis nach ei­ner Ge­schich­te des Rhein­lan­des ist aber neu­er­dings in der La­ge, in die un­ser Ge­biet durch den un­glück­li­chen Aus­gang des Welt­krie­ges ver­setzt wor­den ist, in ver­stärk­ten [!] Ma­ße her­vor­ge­tre­ten. Die deut­sche West­mark, von der wir glaub­ten, daß die Ge­fahr frem­den Über­griffs auf sie für im­mer be­sei­tigt sei, er­scheint uns heu­te nicht mehr als si­che­rer ei­ge­ner Be­sitz, son­dern als heiß um­strit­te­ner Kampf­preis der Frem­den. Wenn in­fol­ge des ver­lo­re­nen Krie­ges ganz Deutsch­land wie­der Tum­mel­platz fremd­län­di­schen Macht­stre­bens ge­wor­den ist, so muß das von den Ar­me­en der Kriegs­geg­ner be­setz­te Rhein­land jetzt den Kelch po­li­ti­scher De­mü­ti­gung bis zur Nei­ge lee­ren, und die Un­ver­sehrt­heit des na­tio­na­len Ter­ri­to­ri­ums er­scheint auf das äu­ßers­te ge­fähr­de­t“.[50]

Es ent­behr­te so­mit nicht jeg­li­cher Grund­la­ge, wenn der fran­zö­si­sche Schrift­stel­ler und Na­tio­na­list Mau­rice Bar­rès von sei­ner fran­zö­si­schen War­te aus kon­sta­tier­te: „Les pro­fes­seurs al­le­man­ds qui fai­sai­ent du pan­ger­ma­nis­me dans les chai­res de Stras­bourg font du pan­ger­ma­nis­me dans les chai­res de Bonn. Ils tra­vail­lai­ent à in­stal­ler la Prus­se en Al­sace et en Lor­rai­ne; ils tra­vail­lent au­jourd’hui à main­tenir la Prus­se en Rhéna­nie“.[51]

Auch die Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten wa­ren nicht frei von po­li­ti­schen Ziel­vor­ga­ben, die sich im Wir­ken ver­schie­de­ner For­scher nie­der­schlu­gen. So wa­ren bei­spiels­wei­se die Be­zie­hun­gen des in Köln leh­ren­den Wirt­schafts­wis­sen­schaft­lers und -geo­gra­phen Bru­no Kuske „zur pro­vin­zia­len Lan­des­pla­nungs­ge­mein­schaft, zur Rhei­ni­schen Volks­pfle­ge und de­ren Ge­gen­pro­gramm zur Kul­tur­pro­pa­gan­da der fran­zö­si­schen Be­sat­zungs­macht, zum Bon­ner In­sti­tut für ge­schicht­li­che Lan­des­kun­de [...] sehr en­g“.[52]  Es war Kuskes Schrift „Rhein­gren­ze und Puf­fer­staat. Ei­ne volks­wirt­schaft­li­che Be­trach­tun­g“,[53]  die als ers­te Pu­bli­ka­ti­on von der Rhei­ni­schen Volks­pfle­ge fi­nan­ziert wur­de und „ei­ne her­aus­ra­gen­de Stel­lung im Ge­samt­pro­gramm der RV­P“[54]  ein­nahm. Für Kuske selbst war dies der „Ein­stieg in ei­ne kon­stan­te an­ti­fran­zö­si­sche und an­ti­se­pa­ra­tis­ti­sche Pu­bli­zis­ti­k“. Er avan­cier­te in der Fol­ge­zeit zu ei­nem der be­deu­tends­ten West- und Raum­for­scher, hob zu­neh­mend sei­ne na­tio­na­le Ge­sin­nung her­vor und war auch an der Köl­ner Jahr­tau­send­fei­er im Jahr 1925 ma­ß­geb­lich be­tei­ligt. Kuskes Schü­ler Al­bert Pass gab seit 1919 die Zeit­schrift „Das Rhein­land. Zei­tungs­kor­re­spon­denz für die Er­hal­tung der deut­schen Art am Rhein“ her­aus, in der auch Kuske und Went­z­cke im ge­schil­der­ten Sin­ne Auf­sät­ze pu­bli­zier­ten. Der Köl­ner Han­dels­hoch­schul­di­rek­tor Chris­ti­an Eckert (1874-1952) sah die Funk­ti­on der neu­ge­grün­de­ten Köl­ner Uni­ver­si­tät in ei­ner Denk­schrift vom 11.3.1919 dar­in, „ein Boll­werk des deut­schen Geis­tes in den ge­fähr­de­ten Rhein­lan­den“ zu bil­den.

Flugblatt 'Der Besatzungswahnsinn am Rhein'. (Stadtarchiv Düsseldorf)

Die deut­sche Pro­pa­gan­da ver­stand sich al­so als Ab­wehr-Maß­nah­me, als ei­nen na­tio­na­len Be­frei­ungs- und Ab­wehr­kampf mit dem Ziel ei­ner bal­di­gen Räu­mung des be­setz­ten Ge­bie­tes und zur Ver­hin­de­rung von be­fürch­te­ten An­ne­xio­nen. Ei­ne Ka­ri­ka­tur im „Klad­de­ra­dat­sch“ vom 19.2.1928 mit dem Ti­tel „His­to­ri­scher Mas­ken­zu­g“ steht stell­ver­tre­tend für ei­ne im Rhein­land und im üb­ri­gen Deutsch­land weit ver­brei­te­te Auf­fas­sung, der zu­fol­ge Frank­reich seit je­her ei­ne ag­gres­si­ve Ex­pan­si­ons­po­li­tik in Rich­tung Os­ten be­trie­ben ha­be: Die Kon­ti­nui­tät reicht - der bild­li­chen Dar­stel­lung ge­mäß - vom Drei­ßig­jäh­ri­gen Krieg („1634“) über die Zeit der Re­vo­lu­ti­ons­krie­ge be­zie­hungs­wei­se der Cis­rhen­a­ni­schen Re­pu­blik („1793“), über Na­po­le­on I. („1805-1813“) bis hin zur Zeit des Ers­ten Welt­krie­ges und der an­schlie­ßen­den Be­sat­zungs­zeit („1914-19??“ [!]). Der auf der Ka­ri­ka­tur selbst ver­merk­te Aus­ruf „Nach Deutsch­land!“ wird er­gänzt durch den iro­ni­schen Wort­laut der Bild­un­ter­schrift: „Frank­reich braucht Si­cher­heit, da­mit es sei­ne ge­schicht­li­chen Raub- und Brand­zü­ge ins wehr­lo­se Deutsch­land auch fer­ner­hin aus­füh­ren kan­n“.[55]

Auf dem Hö­he­punkt des Ruhr­kamp­fes 1923 war die deut­sche Pro­pa­gan­da ge­gen­über der fran­zö­si­schen Sei­te im Vor­teil, denn sie konn­te auf die Emo­tio­nen und Ge­füh­le der ein­hei­mi­schen Be­völ­ke­rung ab­zie­len, wäh­rend die al­li­ier­te Pro­pa­gan­da fern­ab der Hei­mat wir­ken muss­te und sich eher auf die Ver­mitt­lung nüch­ter­ner Fak­ten stütz­te, wel­che die Ber­li­ner Re­gie­rung bei der ei­ge­nen Be­völ­ke­rung dis­kre­di­tie­ren soll­ten.

Welch dras­ti­scher Spra­che und über­trie­be­ner Bil­der sich die deut­sche Pro­pa­gan­da häu­fig be­dien­te, do­ku­men­tiert ein Flug­blatt mit dem Ti­tel „Der fran­zö­si­sche Bol­sche­wis­mus im Ruhr­ge­bie­t“, das sich – ähn­lich den oben ge­schil­der­ten, ge­gen­läu­fi­gen fran­zö­si­schen Be­mü­hun­gen – gän­gi­ge Kli­schees und Res­sen­ti­ments zu­nut­ze macht[56] : „Wol­len wir die fran­zö­sisch-bel­gi­schen Räu­ber und Mör­der im­mer noch dul­den? Wol­len wir uns die Bru­ta­li­tä­ten, die Raub- und Mord­ta­ten, die Schmä­hun­gen, Schän­dun­gen, die Aus­wei­sun­gen und die bes­tia­li­schen Schi­ka­nen an al­len Or­ten von den fran­zö­sisch-bel­gi­schen Ein­bre­chern im­mer noch ge­fal­len las­sen? Oder müs­sen wir uns in un­se­rer Hei­mat von ein­ge­bro­che­nen Wüst­lin­gen wie Hun­de be­han­deln las­sen? Wol­len wir im­mer noch zu­se­hen, wie die fran­zö­sisch-bel­gi­schen Ein­dring­lin­ge [...] un­se­re Bür­ger hin­schlach­ten? Wol­len wir es im­mer noch über uns brin­gen, daß fran­zö­sisch-bel­gi­sche Blut­ge­rich­te un­schul­di­ge Deut­sche zu bes­tia­li­schen To­des­stra­fen, zu un­mensch­li­chen Ge­fäng­nis­stra­fen und zu wu­che­ri­schen Geld­stra­fen ver­ur­tei­len?“

Bei al­ler In­ten­si­tät der Pro­pa­gan­da auf bei­den Sei­ten hat es doch den An­schein, dass die Tä­tig­kei­ten auf die­sem Ge­biet nicht den Aus­schlag ga­ben für Er­folg oder Miss­er­folg ei­ner po­li­ti­schen oder mi­li­tä­ri­schen In­itia­ti­ve.

  1. Der Einsatz von Kolonialtruppen in den besetzten Gebieten

Die Re­ak­tio­nen auf den Ein­satz von Ko­lo­ni­al­trup­pen auf Sei­ten der Al­li­ier­ten ge­hö­ren zu den dun­kels­ten Ka­pi­teln der Be­sat­zungs­zeit im Rhein­land. In vie­len rhei­ni­schen Städ­ten wur­den, vor al­lem auf fran­zö­si­scher Sei­te, Ko­lo­ni­al­trup­pen – in der Mehr­zahl aus Nord­afri­ka – ein­ge­setzt. Ins­ge­samt dürf­te es sich um cir­ca 30.-40.000 schwar­ze Sol­da­ten ge­han­delt ha­ben. Anläßlich der fran­zö­si­schen Be­set­zung des Main­g­aus im April 1920 er­fuhr die deut­sche Öf­fent­lich­keit erst­mals von dem Ein­satz schwar­zer Ko­lo­ni­al­trup­pen auf Sei­ten der Al­li­ier­ten. In wei­ten Tei­len der ein­hei­mi­schen Be­völ­ke­rung kam es in die­sem Zu­sam­men­hang zu Un­muts­äu­ße­run­gen und Kam­pa­gnen, die ras­sis­ti­sche Zü­ge tru­gen: Von „Wil­den“, „Pri­mi­ti­ven“, „Schwar­zer Schmach“ so­wie „Schwar­zer Schan­de“ war die Re­de, den schwar­zen Sol­da­ten wur­den se­xu­el­le Über­grif­fe und Grau­sam­kei­ten ge­gen­über der Zi­vil­be­völ­ke­rung un­ter­stellt.

Die Em­pö­rung reich­te von der Reichs­spit­ze bis hin­ab auf die lo­ka­le Ebe­ne, erfaßte Ver­ei­ne, Par­tei­en und Par­la­men­te. Da­bei fin­den sich in na­he­zu al­len Re­so­lu­tio­nen, Pe­ti­tio­nen, In­ter­pel­la­tio­nen, Pla­ka­ten und Flug­blät­tern ras­sis­ti­sche Ver­satz­stü­cke. Recht bald nach Be­kannt­wer­den des Ein­sat­zes schwar­zer Be­sat­zungs­trup­pen leg­ten al­le Reichs­tags­frak­tio­nen mit Aus­nah­me der ra­di­ka­len Lin­ken der Reichs­re­gie­rung ei­ne In­ter­pel­la­ti­on vor, in der gän­gi­ge Vor­wür­fe und Res­sen­ti­ments auf­ge­lis­tet wur­den[57] : „Fran­zo­sen und Bel­gi­er ver­wen­den auch nach Frie­dens­schluß far­bi­ge Trup­pen in den be­setz­ten Ge­bie­ten der Rhein­lan­de. Die Deut­schen emp­fin­den die­se miß­bräuch­li­che Ver­wen­dung der Far­bi­gen als ei­ne Schmach und se­hen mit wach­sen­der Em­pö­rung, daß je­ne in deut­schen Kul­tur­län­dern Ho­heits­rech­te aus­üben. Für deut­sche Frau­en und Kin­der – Män­ner wie Kna­ben – sind die­se Wil­den ei­ne schau­er­li­che Ge­fahr. Ih­re Eh­re, Leib und Le­ben, Rein­heit und Un­schuld wer­den ver­nich­tet. Im­mer mehr Fäl­le wer­den be­kannt, in de­nen Far­bi­ge [!] Trup­pen deut­sche Frau­en und Kin­der schän­den, Wi­der­stre­ben­de ver­let­zen, ja tö­ten. Nur der kleins­te Teil der be­gan­ge­nen Scheu­ß­lich­kei­ten wird ge­mel­det. Scham­ge­fühl, Furcht vor ge­mei­ner Ra­che schlie­ßen den un­glück­li­chen Op­fern und ih­ren An­ge­hö­ri­gen den Mund. Auf Ge­heiß der fran­zö­si­schen und bel­gi­schen Be­hör­den sind in den von ih­nen be­setz­ten Ge­bie­ten öf­fent­li­che Häu­ser er­rich­tet, vor de­nen far­bi­ge Trup­pen sich scha­ren­wei­se drän­gen, dort sind deut­sche Frau­en ih­nen preis­ge­ge­ben! Die­se Zu­stän­de sind schand­bar, er­nied­ri­gend, un­er­träg­lich! In der gan­zen Welt er­he­ben sich im­mer mehr ent­rüs­te­te Stim­men, die die­se un­aus­lösch­li­che Schmach ver­ur­tei­len. Sind die­se men­schen­un­wür­di­gen Vor­gän­ge der Reichs­re­gie­rung be­kannt? Was ge­denkt sie zu tun?“

Inder in Köln, ca. 1919.

Reichs­prä­si­dent Fried­rich Ebert (1871-1925, Amts­zeit 1919-1925) schlug im Fe­bru­ar 1923 in ei­ner in Darm­stadt ge­hal­te­nen Re­de ähn­li­che Tö­ne an: „Daß die Ver­wen­dung far­bi­ger Trup­pen nie­ders­ter Kul­tur als Auf­se­her über ei­ne Be­völ­ke­rung von der ho­hen geis­ti­gen und wirt­schaft­li­chen Be­deu­tung der Rhein­län­der ei­ne her­aus­for­dern­de Ver­let­zung der Ge­set­ze eu­ro­päi­scher Zi­vi­li­sa­ti­on ist, sei auch hier er­neut in die Welt hin­aus ge­ru­fen“.

Der Vel­ber­ter Bür­ger­meis­ter Leo Tweer (1881-1960), in des­sen Stadt Sol­da­ten des 7. Ko­lo­ni­al­re­gi­ments ein­quar­tiert wor­den wa­ren, be­rich­te­te am 23.2.1923 an den Land­rat: „Das Auf­tre­ten die­ses ech­ten un­ver­fälsch­ten uni­for­mier­ten Ne­ger­typs hat, wie dies selbst­ver­ständ­lich, in der ge­sam­ten Be­völ­ke­rung ge­wal­ti­ge Er­re­gung und Un­ru­he her­vor­ge­ru­fen“.[58]

Durch die me­dia­le Ver­brei­tung der An­schul­di­gun­gen ge­gen die Ko­lo­ni­al­trup­pen in ver­schie­de­nen eu­ro­päi­schen Län­dern – ins­be­son­de­re na­tür­lich im be­setz­ten und un­be­setz­ten Deutsch­land – stei­ger­te sich die Stim­mung zu ei­ner re­gel­rech­ten Hys­te­rie: Im April 1921 er­schien ein Film mit dem Ti­tel „Die schwar­ze Schmach“, im glei­chen Jahr Gui­do Kreut­zers Ro­man „Die schwar­ze Schmach. Der Ro­man des ge­schän­de­ten Deutsch­lan­d“ und 1922 Paul Hains Mach­werk „Mbun­go Ma­he­si, der Kul­tur­trä­ger vom Se­ne­gal“; der „Deut­sche Not­bund ge­gen die schwar­ze Schmach“ rief ei­ne Zeit­schrift mit dem Ti­tel „Die Schmach am Rhein“ ins Le­ben. Die Kam­pa­gne, die un­ge­schminkt ras­sis­ti­sche Zü­ge trug, ging „weit über die ex­tre­mis­ti­schen Mi­lieus hin­aus“[59]  bis tief in das La­ger der po­li­ti­schen Lin­ken so­wie in fe­mi­nis­ti­sche Krei­se hin­ein. In­ter­na­tio­na­le Frau­en­ver­ei­ni­gun­gen in Groß­bri­tan­ni­en, Frank­reich, Schwe­den und den USA for­der­ten den Ab­zug der schwar­zen Trup­pen­ein­hei­ten.

So ver­wun­dert es nicht, daß die deut­sche Sei­te im Rah­men des Pas­si­ven Wi­der­stan­des in­fol­ge der Ruhr­be­set­zung er­neut zu ras­sis­ti­schen und xe­no­pho­ben Ste­reo­ty­pen griff: Be­klagt wur­de auf an­ony­men Flug­blät­tern das „Her­an­brin­gen far­bi­ger Trup­pen“. Oder man gab die An­wei­sung: „Die schwar­zen Tie­re sind nun da. Wie soll man sie be­han­deln? Bes­ti­en muß man ent­we­der zäh­men oder nie­der­schla­gen. Zähmt sie durch Furcht oder Angst! Aber wenn sie nicht wol­len oder sich als Bes­ti­en be­tra­gen, dann –“. Auf ei­nem Flug­blatt mit dem Ti­tel „Hee­res­be­rich­t“ stand zu le­sen: „Die Ver­ei­nig­te Obers­te Hee­res­lei­tung: Poin­ca­ré Der schar­fe Ede ehem. Zu­häl­ter zehn­fa­cher Raub­mör­der und Bam­bu­la Ober­nig­ger und Meis­ter­schän­der Kö­nig al­ler Su­da­ne­sen“.[60]

Französische Propagandapostkarte, Bonn 1922.

Be­feu­ert wur­den Furcht und Ab­nei­gung ge­gen­über den schwar­zen Trup­pen­kon­tin­gen­ten auch durch de­ren Wahr­neh­mung in den Staa­ten der En­tente, nicht zu­letzt in Frank­reich selbst. Mit­un­ter wur­den dort ähn­li­che Greuelmärchen ver­brei­tet wie auf der geg­ne­ri­schen, der deut­schen Sei­te. So schil­dert der fran­zö­si­sche Kriegs­teil­neh­mer und Li­te­rat Ga­bri­el Che­val­li­er (1895-1965) in sei­nem 1930 er­schie­ne­nen An­ti­kriegs­ro­man „La Peur“ wie er den Durch­zug schwar­zer Ein­hei­ten auf dem Weg zur Front zu Kriegs­be­ginn er­leb­te: „Und dann kom­men die Schwar­zen, die man schon von wei­tem an ih­ren wei­ßen Zäh­nen in den dunk­len Ge­sich­tern er­kennt, die kind­li­chen, grau­sa­men Schwar­zen, die ih­re Geg­ner ent­haup­ten und ih­nen die Oh­ren ab­schnei­den, um sie sich dann als Amu­let­te um­zu­hän­gen. Ein be­son­ders er­freu­li­ches De­tail. Fei­ne Ker­le die­se Schwar­zen! Man gibt ih­nen zu trin­ken, man liebt sie, man liebt die­sen kräf­ti­gen Ge­ruch, die­sen exo­ti­schen Welt­aus­stel­lungs­ge­ruch, der bei ih­rem Vor­bei­marsch in der Luft lieg­t“.[61]  Ob­gleich der Schil­de­rung kei­ne ras­sis­ti­sche Welt­an­schau­ung zu­grun­de liegt, könn­te der Text – ge­ring­fü­gig mo­du­liert und et­was an­ders ak­zen­tu­iert – ebensogut von der an­ti­fran­zö­si­schen Agi­ta­ti­on der deut­schen Sei­te wäh­rend der Be­sat­zungs­zeit stam­men.

Ein trau­ri­ges Schick­sal mußten vie­le „Misch­lings“- oder „Bas­tard­kin­der“ – so der da­ma­li­ge amt­li­che Sprach­ge­brauch – er­lei­den, al­so Kin­der, de­ren Vä­ter schwar­ze Be­sat­zungs­sol­da­ten wa­ren: 1933 wur­den sie auf Ge­heiß der na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Macht­ha­ber hin sta­tis­tisch erfaßt und we­ni­ge Jah­re spä­ter, 1937, zwangs­ste­ri­li­siert.

Quelle: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-rheinlandbesetzung-1918-1930/DE-2086/lido/57d133f17e43d1.98845861#toc-0 

 


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