Fortsetzung: " Deutschland - Eine Frage der wechselnden Begrifflichkeiten ermöglicht den EU-Betrug - Teil 1"
Arbeiter aus Duisburg demonstrieren für die Beibehaltung des passiven Widerstands, 1923.
7. Propaganda und „Abwehrkampf“ der deutschen Seite
Die Propaganda der deutschen Seite war zunächst wenig aufeinander abgestimmt, ja regelrecht unkoordiniert, da die Kompetenzen zwischen der Reichsregierung und den einzelnen betroffenen Ländern nicht eindeutig geregelt worden waren. Zudem war die Kommunikation der nachgeordneten Behörden untereinander sowie zwischen nachgeordneten und Obersten Behörden mangelhaft. Zutage trat dies insbesondere in der Zeit der Ruhrbesetzung und des passiven Widerstandes.[38] Vor allem zwei Institutionen waren es, welche die „Abwehr“ von deutscher Seite zu organisieren versuchten: das Reichsministerium für die besetzten Gebiete sowie die „Rheinische Volkspflege“ (RVP).
Französische Panzerfahrer vor dem Landgericht in Duisburg, 1922.
Das Reichsministerium für die besetzten Gebiete wurde durch einen Erlass des Reichspräsidenten vom 24.8.1923 errichtet. Ausschlaggebend war die Bildung des Kabinetts Stresemann im gleichen Monat. Hervorgegangen war das Ministerium aus der Abteilung IV des Reichsministeriums des Innern mit der Bezeichnung „Staatssekretariat für die besetzten rheinischen Gebiete“. Dieses wiederum war am 3.5.1921 als Zentralstelle für die Angelegenheiten der besetzten Gebiete geschaffen worden. Der Aufgabenbereich war breit gestreut und umfasste im Grunde alle Gebiete des öffentlichen Lebens, die von dem Einfluss der Besatzung betroffen waren. Das Reichsministerium für die besetzten Gebiete hatte zwei wesentliche Zielsetzungen: die Belange des Reiches im besetzten Gebiet gegenüber den Besatzungsmächten zu wahren und – wichtiger noch – die Vertretung der Interessen der besetzten Gebiete bei der deutschen Reichsregierung.[39]
Am Rhein selbst wirkte seit Ende 1918 ein „Kommissar“, der die deutschen Interessen vor Ort im besetzten rheinischen Gebiet zu vertreten hatte. Zunächst wurde der Industrielle Otto Wolff (1881-1940) gleichsam als „Reichsinstanz für Besatzungsfragen“[40] zum „Kommissar der deutschen Waffenstillstandskommission in den besetzten rheinischen Gebieten“ ernannt. Um Synergieeffekte zu nutzen und Reibungsverluste zu vermeiden, einigten sich Reich und Preußen auf die Schaffung eines gemeinsamen „Reichs- und Preußischen Staatskommissar für die besetzten rheinischen Gebiete“ mit Sitz in Koblenz. Diesen Posten füllte zunächst – seit dem 19.6.1919 – auf preußischen Vorschlag der vor dem Ruhestand stehende Regierungspräsident von Köln, Karl von Starck (1867-1937), aus. Schließlich wurde das Kommissariat dem am 24.8.1923 errichteten „Reichsministerium für die besetzten Gebiete“ unterstellt, bevor es am 30.9.1930 aufgelöst wurde.
Bei der „Rheinischen Volkspflege“ handelte es sich um eine nichtamtliche „Tarnorganisation“, die im Auftrag der Reichsregierung die antifranzösische Propaganda im Westen finanzierte und koordinierte. Sie war im Juni 1920 aus der im August 1919 im besetzten Gebiet zur Abwehr der Absonderungsbestrebungen eingerichteten „Begestelle“ (B.-G.-Stelle [Referat]) der „Reichszentrale für Heimatdienst“ (RfH) hervorgegangen. Nach der Errichtung des Staatssekretariates für die besetzten Gebiete im Reichsministerium des Innern im Mai 1921 wurde die RVP diesem Staatssekretariat unterstellt. Im Jahre 1922 wurde sie als „nachgeordnete Stelle nichtamtlichen Charakters“ bezeichnet, seit 1923 stand sie unter der Dienstaufsicht des Reichsministeriums für die besetzten Gebiete, trat nach außen jedoch als private Organisation auf. Zum 30.9.1930 wurde die RVP aufgelöst.[41] Fortbildungsmaßnahmen für Historiker und Lehrer gehörten ebenso zu ihrem Aufgabenprofil wie die Publikation propagandistischen Schrifttums. Zu den geförderten Autoren zählten unter anderem Bruno Kuske, Hermann Oncken (1869-1945), Aloys Schulte und Paul Wentzcke.
Plakat: Hände weg vom Ruhrgebiet!, Grafiker: Theo Matejko. (Bundesarchiv Plak 002-012-025)
Eine tragende Rolle im „Abwehrkampf“ kam dem Begründer und Direktor des Düsseldorfer Stadtarchivs Paul Wentzcke zu, der von 1926 bis 1933 Leiter des Historischen Museums der Stadt und von 1928 bis 1933 Vorsitzender des Düsseldorfer Geschichtsvereins war. Wentzcke agierte an der Schnittstelle von historischer Wissenschaft, Verwaltung und Politik und wurde während der gesamten Besatzungszeit – sowie auch darüber hinaus – nicht müde, den deutschen Charakter des Rheins gegen alle tatsächlichen oder vermeintlichen Bedrohungen in scharfer, nationalistischer Form hervorzuheben. Dabei verhehlte der aus einer protestantischen preußischen Beamtenfamilie stammende Burschenschafter Wentzcke seine antisozialistische Einstellung nicht. Und man kann hinzufügen: auch die antialliierte, insbesondere antifranzösische nicht. Die Vorbereitungen zur rheinischen Jahrtausendfeier veranlassten ihn, sich in mehreren Publikationen (1923, 1925, 1929-1934) dem „Abwehrkampf“ an Rhein und Ruhr zu widmen. Er war auch maßgeblich an dem Zustandekommen der im Sinne des „Abwehrkampfes“ kommentierten Bibliographie „Zehn Jahre Rheinlandbesetzung“ beteiligt, die der Direktor der Pfälzischen Landesbibliothek Speyer, Georg Reismüller, und dessen Mitarbeiter Josef Hofmann zusammenstellten und 1929 veröffentlichten.[42]
Die Nachrufe auf Wentzcke zeugen nicht nur von dessen politischer Einstellung beziehungsweise seiner geistigen Haltung, von dessen deutsch-national inspiriertem Kampf gegen die Rheinlandbesetzung sowie gegen jegliche Tendenzen zur Trennung des besetzten Gebietes von Preußen beziehungsweise von Deutschland, sondern auch von der recht unkritischen Sicht, die man in weiten Bevölkerungskreisen – auch in der Geschichtswissenschaft und im Archivwesen – zu Beginn der 1960er Jahre noch auf das Phänomen des „Abwehrkampfes“ während der Rheinlandbesetzung hatte.[43] Sie bieten somit einen Blick in die Rezeptionsgeschichte der Besatzungszeit. Die jüngere Forschung setzt andere Maßstäbe an: „Wentzcke gehörte zu den aktivsten rechtsradikalen, antiwestlichen Publizisten im Rheinland während der Weimarer Republik“.[44]
Eine wichtige und prominente Rolle spielte auch das 1920 an der Bonner Universität gegründete Institut für geschichtliche Landeskunde der Rheinlande (IGL). Dort machte sich der Einfluss der politisch-kulturell inspirierten „Heimatbewegung“ bemerkbar. Das Institut, das eine Brücke zwischen landes- sowie volkskundlicher Forschung und nichtakademischer Heimatgeschichte schlug, hatte laut dem Ordinarius für rheinische Landesgeschichte, Franz Steinbach, die Aufgabe, „die preußische Hochschule am Rhein in immer engere Fühlung mit der rheinischen Bevölkerung zu bringen“.[45] Angesichts der politischen Gesamtsituation – Rheinlandbesetzung, Eigenbestrebungen in verschiedenen Regionen Preußens und des Reiches, Bedrohung der Republik von den politischen Rändern her – beförderten die Protagonisten die Verbindung von regionaler und nationaler Identität. Mit anderen Worten: „Oberstes Ziel einer rheinischen Geschichte musste es in dieser kritischen Lage sein, das Rheinland durch die Jahrhunderte hindurch als deutsches Land zu erweisen“.[46]
Der in der „Westforschung“ engagierte Landes- und Wirtschaftshistoriker Hermann Aubin, Begründer des Bonner Instituts, war bemüht, eine im „nationalen Abwehrkampf“ brauchbare rheinische Stammes-Identität zu kreieren. Indem er die Disziplin der „Geschichtlichen Landeskunde“ dem politischen Abwehrkampf, den volks- und nationalpolitischen Interessen dienstbar machte, begab sich Aubin „dauerhaft in das Spannungsfeld von Wissenschaft und Politik“.[47] Er war mitverantwortlich für die „Politisierung historischer Forschung“. Die Berliner Behörden erhofften sich von Aubins West- und Kulturraumforschung „nützliche geschichtspolitische Argumente zur Abwehr sowohl der französischen Rheinpropaganda als auch des rheinischen Separatismus“.[48] Die Westforschung war somit letztlich Teil einer „gesamtgesellschaftlich angelegten Bewegung gegen den Versailler Vertrag und gegen die französische Rheinlandbesetzung“.[49]
Auch das Programm des Vorsitzenden der Gesellschaft für Rheinische Geschichtskunde, des nationalliberalen Kölner Stadtarchivars Joseph Hansen (1862-1943), für die Veröffentlichung einer rheinischen Geschichte atmet in jeder Zeile die nationale Zielsetzung und zeugt von der Instrumentalisierung der regionalen Geschichte beziehungsweise der regionalen Identität im Dienste des nationalen Gedankens: „Das Bedürfnis nach einer Geschichte des Rheinlandes ist aber neuerdings in der Lage, in die unser Gebiet durch den unglücklichen Ausgang des Weltkrieges versetzt worden ist, in verstärkten [!] Maße hervorgetreten. Die deutsche Westmark, von der wir glaubten, daß die Gefahr fremden Übergriffs auf sie für immer beseitigt sei, erscheint uns heute nicht mehr als sicherer eigener Besitz, sondern als heiß umstrittener Kampfpreis der Fremden. Wenn infolge des verlorenen Krieges ganz Deutschland wieder Tummelplatz fremdländischen Machtstrebens geworden ist, so muß das von den Armeen der Kriegsgegner besetzte Rheinland jetzt den Kelch politischer Demütigung bis zur Neige leeren, und die Unversehrtheit des nationalen Territoriums erscheint auf das äußerste gefährdet“.[50]
Es entbehrte somit nicht jeglicher Grundlage, wenn der französische Schriftsteller und Nationalist Maurice Barrès von seiner französischen Warte aus konstatierte: „Les professeurs allemands qui faisaient du pangermanisme dans les chaires de Strasbourg font du pangermanisme dans les chaires de Bonn. Ils travaillaient à installer la Prusse en Alsace et en Lorraine; ils travaillent aujourd’hui à maintenir la Prusse en Rhénanie“.[51]
Auch die Wirtschaftswissenschaften waren nicht frei von politischen Zielvorgaben, die sich im Wirken verschiedener Forscher niederschlugen. So waren beispielsweise die Beziehungen des in Köln lehrenden Wirtschaftswissenschaftlers und -geographen Bruno Kuske „zur provinzialen Landesplanungsgemeinschaft, zur Rheinischen Volkspflege und deren Gegenprogramm zur Kulturpropaganda der französischen Besatzungsmacht, zum Bonner Institut für geschichtliche Landeskunde [...] sehr eng“.[52] Es war Kuskes Schrift „Rheingrenze und Pufferstaat. Eine volkswirtschaftliche Betrachtung“,[53] die als erste Publikation von der Rheinischen Volkspflege finanziert wurde und „eine herausragende Stellung im Gesamtprogramm der RVP“[54] einnahm. Für Kuske selbst war dies der „Einstieg in eine konstante antifranzösische und antiseparatistische Publizistik“. Er avancierte in der Folgezeit zu einem der bedeutendsten West- und Raumforscher, hob zunehmend seine nationale Gesinnung hervor und war auch an der Kölner Jahrtausendfeier im Jahr 1925 maßgeblich beteiligt. Kuskes Schüler Albert Pass gab seit 1919 die Zeitschrift „Das Rheinland. Zeitungskorrespondenz für die Erhaltung der deutschen Art am Rhein“ heraus, in der auch Kuske und Wentzcke im geschilderten Sinne Aufsätze publizierten. Der Kölner Handelshochschuldirektor Christian Eckert (1874-1952) sah die Funktion der neugegründeten Kölner Universität in einer Denkschrift vom 11.3.1919 darin, „ein Bollwerk des deutschen Geistes in den gefährdeten Rheinlanden“ zu bilden.
Flugblatt 'Der Besatzungswahnsinn am Rhein'. (Stadtarchiv Düsseldorf)
Die deutsche Propaganda verstand sich also als Abwehr-Maßnahme, als einen nationalen Befreiungs- und Abwehrkampf mit dem Ziel einer baldigen Räumung des besetzten Gebietes und zur Verhinderung von befürchteten Annexionen. Eine Karikatur im „Kladderadatsch“ vom 19.2.1928 mit dem Titel „Historischer Maskenzug“ steht stellvertretend für eine im Rheinland und im übrigen Deutschland weit verbreitete Auffassung, der zufolge Frankreich seit jeher eine aggressive Expansionspolitik in Richtung Osten betrieben habe: Die Kontinuität reicht - der bildlichen Darstellung gemäß - vom Dreißigjährigen Krieg („1634“) über die Zeit der Revolutionskriege beziehungsweise der Cisrhenanischen Republik („1793“), über Napoleon I. („1805-1813“) bis hin zur Zeit des Ersten Weltkrieges und der anschließenden Besatzungszeit („1914-19??“ [!]). Der auf der Karikatur selbst vermerkte Ausruf „Nach Deutschland!“ wird ergänzt durch den ironischen Wortlaut der Bildunterschrift: „Frankreich braucht Sicherheit, damit es seine geschichtlichen Raub- und Brandzüge ins wehrlose Deutschland auch fernerhin ausführen kann“.[55]
Auf dem Höhepunkt des Ruhrkampfes 1923 war die deutsche Propaganda gegenüber der französischen Seite im Vorteil, denn sie konnte auf die Emotionen und Gefühle der einheimischen Bevölkerung abzielen, während die alliierte Propaganda fernab der Heimat wirken musste und sich eher auf die Vermittlung nüchterner Fakten stützte, welche die Berliner Regierung bei der eigenen Bevölkerung diskreditieren sollten.
Welch drastischer Sprache und übertriebener Bilder sich die deutsche Propaganda häufig bediente, dokumentiert ein Flugblatt mit dem Titel „Der französische Bolschewismus im Ruhrgebiet“, das sich – ähnlich den oben geschilderten, gegenläufigen französischen Bemühungen – gängige Klischees und Ressentiments zunutze macht[56] : „Wollen wir die französisch-belgischen Räuber und Mörder immer noch dulden? Wollen wir uns die Brutalitäten, die Raub- und Mordtaten, die Schmähungen, Schändungen, die Ausweisungen und die bestialischen Schikanen an allen Orten von den französisch-belgischen Einbrechern immer noch gefallen lassen? Oder müssen wir uns in unserer Heimat von eingebrochenen Wüstlingen wie Hunde behandeln lassen? Wollen wir immer noch zusehen, wie die französisch-belgischen Eindringlinge [...] unsere Bürger hinschlachten? Wollen wir es immer noch über uns bringen, daß französisch-belgische Blutgerichte unschuldige Deutsche zu bestialischen Todesstrafen, zu unmenschlichen Gefängnisstrafen und zu wucherischen Geldstrafen verurteilen?“
Bei aller Intensität der Propaganda auf beiden Seiten hat es doch den Anschein, dass die Tätigkeiten auf diesem Gebiet nicht den Ausschlag gaben für Erfolg oder Misserfolg einer politischen oder militärischen Initiative.
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Der Einsatz von Kolonialtruppen in den besetzten Gebieten
Die Reaktionen auf den Einsatz von Kolonialtruppen auf Seiten der Alliierten gehören zu den dunkelsten Kapiteln der Besatzungszeit im Rheinland. In vielen rheinischen Städten wurden, vor allem auf französischer Seite, Kolonialtruppen – in der Mehrzahl aus Nordafrika – eingesetzt. Insgesamt dürfte es sich um circa 30.-40.000 schwarze Soldaten gehandelt haben. Anläßlich der französischen Besetzung des Maingaus im April 1920 erfuhr die deutsche Öffentlichkeit erstmals von dem Einsatz schwarzer Kolonialtruppen auf Seiten der Alliierten. In weiten Teilen der einheimischen Bevölkerung kam es in diesem Zusammenhang zu Unmutsäußerungen und Kampagnen, die rassistische Züge trugen: Von „Wilden“, „Primitiven“, „Schwarzer Schmach“ sowie „Schwarzer Schande“ war die Rede, den schwarzen Soldaten wurden sexuelle Übergriffe und Grausamkeiten gegenüber der Zivilbevölkerung unterstellt.
Die Empörung reichte von der Reichsspitze bis hinab auf die lokale Ebene, erfaßte Vereine, Parteien und Parlamente. Dabei finden sich in nahezu allen Resolutionen, Petitionen, Interpellationen, Plakaten und Flugblättern rassistische Versatzstücke. Recht bald nach Bekanntwerden des Einsatzes schwarzer Besatzungstruppen legten alle Reichstagsfraktionen mit Ausnahme der radikalen Linken der Reichsregierung eine Interpellation vor, in der gängige Vorwürfe und Ressentiments aufgelistet wurden[57] : „Franzosen und Belgier verwenden auch nach Friedensschluß farbige Truppen in den besetzten Gebieten der Rheinlande. Die Deutschen empfinden diese mißbräuchliche Verwendung der Farbigen als eine Schmach und sehen mit wachsender Empörung, daß jene in deutschen Kulturländern Hoheitsrechte ausüben. Für deutsche Frauen und Kinder – Männer wie Knaben – sind diese Wilden eine schauerliche Gefahr. Ihre Ehre, Leib und Leben, Reinheit und Unschuld werden vernichtet. Immer mehr Fälle werden bekannt, in denen Farbige [!] Truppen deutsche Frauen und Kinder schänden, Widerstrebende verletzen, ja töten. Nur der kleinste Teil der begangenen Scheußlichkeiten wird gemeldet. Schamgefühl, Furcht vor gemeiner Rache schließen den unglücklichen Opfern und ihren Angehörigen den Mund. Auf Geheiß der französischen und belgischen Behörden sind in den von ihnen besetzten Gebieten öffentliche Häuser errichtet, vor denen farbige Truppen sich scharenweise drängen, dort sind deutsche Frauen ihnen preisgegeben! Diese Zustände sind schandbar, erniedrigend, unerträglich! In der ganzen Welt erheben sich immer mehr entrüstete Stimmen, die diese unauslöschliche Schmach verurteilen. Sind diese menschenunwürdigen Vorgänge der Reichsregierung bekannt? Was gedenkt sie zu tun?“
Inder in Köln, ca. 1919.
Reichspräsident Friedrich Ebert (1871-1925, Amtszeit 1919-1925) schlug im Februar 1923 in einer in Darmstadt gehaltenen Rede ähnliche Töne an: „Daß die Verwendung farbiger Truppen niederster Kultur als Aufseher über eine Bevölkerung von der hohen geistigen und wirtschaftlichen Bedeutung der Rheinländer eine herausfordernde Verletzung der Gesetze europäischer Zivilisation ist, sei auch hier erneut in die Welt hinaus gerufen“.
Der Velberter Bürgermeister Leo Tweer (1881-1960), in dessen Stadt Soldaten des 7. Kolonialregiments einquartiert worden waren, berichtete am 23.2.1923 an den Landrat: „Das Auftreten dieses echten unverfälschten uniformierten Negertyps hat, wie dies selbstverständlich, in der gesamten Bevölkerung gewaltige Erregung und Unruhe hervorgerufen“.[58]
Durch die mediale Verbreitung der Anschuldigungen gegen die Kolonialtruppen in verschiedenen europäischen Ländern – insbesondere natürlich im besetzten und unbesetzten Deutschland – steigerte sich die Stimmung zu einer regelrechten Hysterie: Im April 1921 erschien ein Film mit dem Titel „Die schwarze Schmach“, im gleichen Jahr Guido Kreutzers Roman „Die schwarze Schmach. Der Roman des geschändeten Deutschland“ und 1922 Paul Hains Machwerk „Mbungo Mahesi, der Kulturträger vom Senegal“; der „Deutsche Notbund gegen die schwarze Schmach“ rief eine Zeitschrift mit dem Titel „Die Schmach am Rhein“ ins Leben. Die Kampagne, die ungeschminkt rassistische Züge trug, ging „weit über die extremistischen Milieus hinaus“[59] bis tief in das Lager der politischen Linken sowie in feministische Kreise hinein. Internationale Frauenvereinigungen in Großbritannien, Frankreich, Schweden und den USA forderten den Abzug der schwarzen Truppeneinheiten.
So verwundert es nicht, daß die deutsche Seite im Rahmen des Passiven Widerstandes infolge der Ruhrbesetzung erneut zu rassistischen und xenophoben Stereotypen griff: Beklagt wurde auf anonymen Flugblättern das „Heranbringen farbiger Truppen“. Oder man gab die Anweisung: „Die schwarzen Tiere sind nun da. Wie soll man sie behandeln? Bestien muß man entweder zähmen oder niederschlagen. Zähmt sie durch Furcht oder Angst! Aber wenn sie nicht wollen oder sich als Bestien betragen, dann –“. Auf einem Flugblatt mit dem Titel „Heeresbericht“ stand zu lesen: „Die Vereinigte Oberste Heeresleitung: Poincaré Der scharfe Ede ehem. Zuhälter zehnfacher Raubmörder und Bambula Obernigger und Meisterschänder König aller Sudanesen“.[60]
Französische Propagandapostkarte, Bonn 1922.
Befeuert wurden Furcht und Abneigung gegenüber den schwarzen Truppenkontingenten auch durch deren Wahrnehmung in den Staaten der Entente, nicht zuletzt in Frankreich selbst. Mitunter wurden dort ähnliche Greuelmärchen verbreitet wie auf der gegnerischen, der deutschen Seite. So schildert der französische Kriegsteilnehmer und Literat Gabriel Chevallier (1895-1965) in seinem 1930 erschienenen Antikriegsroman „La Peur“ wie er den Durchzug schwarzer Einheiten auf dem Weg zur Front zu Kriegsbeginn erlebte: „Und dann kommen die Schwarzen, die man schon von weitem an ihren weißen Zähnen in den dunklen Gesichtern erkennt, die kindlichen, grausamen Schwarzen, die ihre Gegner enthaupten und ihnen die Ohren abschneiden, um sie sich dann als Amulette umzuhängen. Ein besonders erfreuliches Detail. Feine Kerle diese Schwarzen! Man gibt ihnen zu trinken, man liebt sie, man liebt diesen kräftigen Geruch, diesen exotischen Weltausstellungsgeruch, der bei ihrem Vorbeimarsch in der Luft liegt“.[61] Obgleich der Schilderung keine rassistische Weltanschauung zugrunde liegt, könnte der Text – geringfügig moduliert und etwas anders akzentuiert – ebensogut von der antifranzösischen Agitation der deutschen Seite während der Besatzungszeit stammen.
Ein trauriges Schicksal mußten viele „Mischlings“- oder „Bastardkinder“ – so der damalige amtliche Sprachgebrauch – erleiden, also Kinder, deren Väter schwarze Besatzungssoldaten waren: 1933 wurden sie auf Geheiß der nationalsozialistischen Machthaber hin statistisch erfaßt und wenige Jahre später, 1937, zwangssterilisiert.
Quelle: http://www.rheinische-geschichte.lvr.de/Epochen-und-Themen/Themen/die-rheinlandbesetzung-1918-1930/DE-2086/lido/57d133f17e43d1.98845861#toc-0
Artikelfortsetzungen
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