#11 – Thyrchen Die Pokerrunde der Mädels wandelt sich zum Monopoly des Flaschendrehens. [Violetta hat en masse Chinakracher gebunkert und ist nicht mehr zu bremsen. Sie mutiert gerade zur Böllerbank. Offensichtlich hat Violetta ihre gefürchtetste Maske aufgesetzt und befindet sich im Stealthmodus. Zusätzlich ziert Rosinchens Bußgeldschutz ihr hübsches Pokerface und lenkt damit von ihrem arithmetisch-listigen Geschick ab.
Charlotte hat ihren Ausnüchterungs-Lockdown gut weggesteckt und spielt andächtig mit den Kronkorken. Lieschen sitzt völlig abgebrannt am Spieltisch und blickt flehentlich zur Decke. Sie hofft inbrünstig auf eine kosmische Abrißbirne, die sie aus ihrem persönlichen Krisengebiet rettet. Zum Glück zocken sie um Nebelraketen und nicht um Kleidungsstücke. Aus Rücksicht auf ihr Hirsch-Orakel haben sich die Märchen-Mädels gegen Strip-Poker entschieden, denn das hätte Artus alleine schon optisch nicht überlebt. Dieser sitzt nebenan mit Lotte noch im Drostenloser Rosinenbomber. Sie diskutieren episch über Rosinchens´ erfolglosen Versuch in der Sprüchebüchse-Matrix Fuß zu fassen. Just als sie zur kalten „Verleihnix“-Akte wechseln wollen, schellt das Schreibstuben-Telefon.
Lieschen, äußerst dankbar über die unverhoffte Pause, hebt verwundert den Hörer ab. Überrascht ihre Lieblingsoma in der Leitung zu hören, bittet sie alle um Aufmerksamkeit und stellt das Telefon auf laut. Oma Käthe ist gerngesehener Gast in ihrer Schreibstube. Die zierliche, hochbetagte Dame ist der Star des allwöchentlich stattfindenden Kaffeeklatsches. Käthe Nussknacker hat ihnen nicht nur fernöstliche Kampftechniken nähergebracht, sondern die Märchen-Mädels auch in „die Kunst der leeren Hand“ eingeweiht. Einst war Oma KäthePrimaballerina und floh vor dem eisernen Vorhang nach Winterfell. Die stadtbekannte Ostpreußin jobbt zum Zeitvertreib noch an der Tanke, hält sich täglich mit Karate fit und radelt kilometerweit durchs Winterfeller Hinterland.
Bedauerlicherweise wird nun auch ihr Wohnort Großklabauterbach von der chinesischen Flugsamen-Show heimgesucht. Aus Sympathie zu Drostenlos führt Großklabauterbach „Entenschnäbel“ ein. Aufgrund ihres stattlichen Ausdauertrainings und ihrer seit Jahren exzellenten Belastungstestergebnisse, gilt sie als zu reif für diese Revue. Ihr Hausarzt hat ihr dies öffentlich testiert und sie offiziell vom Enten-Tanz befreit.
Tausendmal hat Käthe Nussknacker ihr „Moos“ ins Portohaus getragen. Tausendmal is´ nix passiert. Tausendundeine Einlösung und es hat „Boom“ gemacht. Kassierer Mäusekönig gab ihr gummi und feuerte los, dass ab sofort „ohne“ nix mehr ginge, die Anweisung von ganz hoher Stelle käme, er sich auf das Hausrecht berufe, ein ärztliches Attest bedeutungslos sei, er für die Gesundheit seiner Mitarbeiter Verantwortung trage und Oma Käthe bei Unsolidarität an die Ordnungsmacht verpfeife. Er war gerade dabei sein treues Kunden-Urgestein hinaus zu komplimentieren, als ihm eine «Wer-Fliege-fangen-mit-Stäbchen-der-vollbringen-alles»-Lektion entgegenflatterte.
Karate-Käthe hat in Kassierer Mäusekönig ihren Meister gefunden. Die Märchen-Truppe lauschte andächtig, wie Oma Käthe sich auf Mr. Miyagi, der sagen «Lernen zu stehen, dann lernen zu fliegen», besann. Und so ging Käthe Nussknacker freundlich und mutig argumentierend in ihre Prüfung:
Mr. Miyagi sagen «Denken daran, Prüfung nie ersetzen Auge, Ohr und Gehirn…»
Mäusekönigs Arbeitgeber hat sich vor etlichen Jahren entschlossen in Großklabauterbach eine Filiale „für den allgemeinen Publikumsverkehr zu eröffnen“ und hat „damit zum Ausdruck gebracht, dass er an jeden Kunden Leistungen erbringen will und er in diesen Fällen generell und unter Verzicht auf eine Prüfung im Einzelfall eine Zutrittsbefugnis [BGH NJW 1994, 188 f. m.w.N.] erteilt.“
Mr. Miyagi sagen «Wenn du fühlen das Leben geraten aus Fokus, immer zurückkehren zu Grundlage von Leben. Atmen. Kein Atem, kein Leben.»
Oma Käthe sei sich der allgemein angespannten chinesischen Flugsamen-Lage sehr bewusst. Ihr aufrichtiges Verständnis für Kassierer Mäusekönigs Dilemma kundtuend, zitiert sie dessen Werbeslogan „Ein Portohaus für´s Leben.“ Als Kontoinhaberin der ersten Stunde fühlte sie sich bislang zuvorkommend bedient. Jetzt stecke aber auch sie in der Zwickmühle und ihr Leben sei aus triftigem Grund [§294 ZPO] in Gefahr. [Oma Käthe würde sich zur Sache selbst nicht äußern, auch dann nicht, wenn Post von der Ordnungsmacht käme. Es müsste ihr ein Fehlverhalten nachgewiesen werden und die Beweispflicht liegt hier bei der Ordnungsmacht. Auch könnte Oma Käthe gerne wissen wollen, auf welcher wissenschaftlichen Basis diese Maßnahme denn basiere…]
Mr. Miyagi sagen: «Es gibt keine schlechten Schüler, nur schlechte Lehrer. Lehrer sagen, Schüler machen.»
Oma Käthe berichtet, dass sie für Kassierer Mäusekönigs Seelenfrieden in facto ihr Leben auf´s Spiel setze und dessen Nicht-Akzeptanz ihres ärztlichen Attests werfe zudem bei ihr die Frage auf, ob er sowohl die Ausbildung besäße als auch Kompetenzen nachweisen könne, um ärztliche Beurteilungen anzweifeln zu dürfen, und ob Kassierer Mäusekönig auch wisse, dass dieser „nicht berechtigt sei, Atteste einzusehen oder die Vorlage solcher zu verlangen. Dies verstößt gegen die DSGVO-Verordnung sowie gegen Daten- und Patientenschutzrechte…“ [BMG].
Mr. Miyagi sagen «Niemals stellen Leidenschaft vor Prinzip, selbst wenn bedeuten, zu verlieren!»
Aufgrund der spannungsgeladenen Lage und unabhängig davon, ob die Flugsamen-Show-Auflagen einer Rechtsgrundlage entbehren oder nicht, weißt Oma Käthe ihre Märchen-Mädels auf Besonnenheit hin, und dass im zwischenmenschlichen Verständnisprozess in jedem Fall ein gutes Miteinander und viel Fingerspitzengefühl angebracht sei.
Mr. Miyagi sagen: «Nicht fragen wer stark, fragen wer klug.»
Oma Käthe dankt Kassierer Mäusekönig für die dreißigjährige Geschäftspartnerschaft. Allerdings verleiht sie ihrer Verwirrung hinsichtlich seiner Leistungsverweigerung Ausdruck und fragt höflich nach, auf welcher Grundlage Kassierer Mäusekönig sich denn stütze, um ihre originäre Geschäftsbeziehung außer Kraft setzen zu können. Oma Käthe will wissen, wo denn Kassierer Mäusekönig in der Gleichung auftauche, da die Geschäftsbeziehungs-Bilanz unausgeglichen sei. Auch sei ihr keine derartige Klausel in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Portohauses bekannt, die den bedingungslosen Gehorsam als oberste Kundenpflicht beinhalte.
Mr. Miyagi sagen: «Lügen werden nur Wahrheit, wenn Menschen glauben wollen.»
Oma Käthe unterdrückt ihre Empörung über Arzt-Atteste, die keine Gültigkeit haben, über Kaufmänner, die sich als kompetente Mediziner ausgeben, über Fakten, die bedeutungslos, Empfehlungen, die jetzt offizielle Vorschriften sind und Gesetze, die nur für andere gelten. Und sie schluckt ihren Unmut runter über Firmen, die sich ergebend der Politik fügen und deren Versagen unterstützen, über Personen, die Haftung als die Schuldigkeit der anderen ansehen und über Betroffene, die Maßnahmenverweigerer als Fahnenflüchtige etikettieren.
Mr. Miyagi sagen: «Wenn du denken an Rache, immer anfangen graben zwei Gräber.»
Oma Käthe bringt äußerst ungern ihre Gesprächspartner in die Bredouille, zumal der Schuß nach hinten losgehen könnte. Dennoch bezieht sie Kassierer Mäusekönig in derartige Überlegungen mit ein, sollte sie sich von ihm genötigt fühlen [§ 240 StGB] bzw. sollte sie sich widerrechtlich ihrer Gesundheit verletzt [§ 823 BGB] sehen. Sie erklärt ihm die Auswirkungen übereilter Handlungen. [Und für den Fall, dass die Ordnungsmacht auftauche, habe sie die FRISBEE-Falle der Märchen-Mädels in petto.]
Mr. Miyagi sagen «Niemals du werden machen Ende von Krieg, wenn mitkämpfen.»
Oma Käthe gesteht ihren Märchen-Mädels zwar äußerst ungern ihre Niederlage ein, aber sagen,«Verlieren gegen Feind okay, aber niemals verlieren gegen Angst.» In manchen Situationen scheint es klüger zu sein, nachzugeben, um dann gestärkt wieder daraus hervorgehen zu können.]
Seid Meisterinnen, die üben.
Viel Erfolg! Eure
O m a K ä t h e
Erstveröffentlichung auf Rechtsmärchen / https://rechtsmaerchen.de/thyr-thor/