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„Zu enge“ Bindung – eine neue Straftat? - Jugendämter stecken Kinder ins Heim - wegen angeblich zu enger Mutter-Kind-Bindung

Gesellschaft
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Eine Warnung vorweg: Dieser Beitrag macht schlechte Laune. Wer ihn erst nach der Weihnachtszeit lesen will: mein vollstes Verständnis.

Eine zweite Warnung noch dazu: Was ich hier beschreibe ist so unglaublich, dass ich selbst hoffe, dass mir irgendjemand beweist, dass manches darin vielleicht doch übertrieben ist. Nur: ich habe jetzt so lange dazu recherchiert, dass ich das für ausgeschlossen halte. Alles spricht dafür, dass hier etwas ins Rutschen gekommen ist, das eigentlich unantastbar sein müsste.

Der Reihe nach. Vor wenigen Wochen titelt die taz in ihrer Lokalausgabe Nord: „Ins Heim wegen zu viel Mutterliebe“

In dem Artikel beschreibt die Journalistin Kaija Kutter von Inobhutnahmen von Kindern durch Jugendämter, weil deren Bindung zu ihren Müttern angeblich „zu eng“ sei. Klartext: Kinder werden ins Heim gesteckt, um eine angeblich zu enge Mutter-Kind-Bindung zu kurieren.
42 gut dokumentierte Fälle

Einzelfälle? In dem Beitrag  berichtet die taz von 42 solchen Fällen. Und alle 42 Fälle haben dieselben Merkmale:

    die Betroffenen sind alleinerziehende Mütter
    die Mütter hatten sich allesamt selbst ans Jugendamt gewendet um sich entweder beraten zu lassen oder um Unterstützung zu bitten (etwa wegen Kuranträgen)
    in keinem einzigen Fall lagen Hinweise auf Gewalt oder Vernachlässigung oder Hinweise auf gesundheitliche Beeinträchtigungen in den Familien vor
    und in keinem einzigen Fall fühlten sich die Mütter selbst nicht in der Lage für die Erziehung ihrer Kinder zu sorgen.

Trennung von Mutter und Kind – aufgrund von Vermutungen

Vor zwei Wochen griff dann Focus Online das Thema auf und berichtet ein weiteres schier unglaubliches Detail:  Keine der Inobhutnahmen erfolgte aufgrund von psychologischen oder psychiatrischen Gutachten. Vielmehr kamen die Kinder ins Heim aufgrund eigener „Diagnosen“ von JugendamtsmitarbeiterInnen oder von  Verdächtigungen durch Ex-Partner, Nachbarn, Lehrerinnen oder den Eltern ehemaliger Partner. In einigen Fällen setzten sich die JugendamtsmitarbeiterInnen bei ihren Entscheidungen sogar über das Votum der eigenen Erziehungsberatungsstellen hinweg.

Ich hatte beim ersten Durchlesen noch gedacht, das kann doch alles nicht wahr sein. Das muss auf bloßem Hörensagen beruhen. Von wegen. Die Berichte beruhen auf der Auswertung durch einen renommierten Fachmann im Jugendhilfewesen, der lange Jahre als Abteilungsleiter für Jugendhilfe in der Hamburger Sozialbehörde gearbeitet hat: Wolfgang Hammer, Soziologe und Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats beim Deutschen Kinderhilfswerk (DKHW).

Die von Herrn Hammer erstellte Studie, aus der die oben genannten Beschreibungen stammen , fasst einen neuen Trend zusammen: behördlich verordneter Bindungsabbruch wegen angeblicher übermäßiger Bindung. Wie brisant die Studie ist, zeigt ihre Zusammenfassung:

    „39 alleinerziehenden Müttern und drei Großmüttern, die um Hilfe zur Bewältigung ihrer Alltagsprobleme bei Jugendämtern gebeten haben, sind ihre Kinder ohne sachliche und rechtliche Grundlage vom Staat entzogen worden oder es war eine Inobhutnahme oder Fremdunterbringung geplant. Allen 42 Eltern und allen 42 Kindern wurde ihre Beteiligungsrechte im Hilfeplanverfahren verweigert, obwohl alle Kinder im schulpflichtigen Alter waren. Mindestens zwei Drittel dieser Kinder haben als Folge der Inobhutnahmen und Fremdunterbringungen deutliche gesundheitliche und schulische Verschlechterungen ihrer Lebenssituation hinnehmen müssen.“[1]

Vorwurf: Mutter und Kind schlafen im gleichen Zimmer

Gestern nun erschien in der Süddeutschen Zeitung ein Hintergrundbericht  über die betroffenen Familien. Kaum auszuhalten, was die Mütter erleben mussten und weiter müssen. Und was dort dann an neuen Details geschildert wird. Anscheinend gehören nämlich zu den angeblichen Beweisen für eine zu enge Bindung folgende Tatbestände:

    die Mutter habe das Schlafzimmer mit ihrem Kind geteilt
    sie habe ihr Kind zuhause betreut und nicht in eine Kita gegeben
    das Kind sei innerhalb von 6 Wochen mehrmals wegen Krankheit nicht zur Schule gegangen.

Was in dem Artikel auch beschrieben wird: mit welcher Härte die Trennung durchgesetzt wird. Eine der betroffenen Mütter darf sich ihrem Kind nicht auf unter 500 Meter nähern, sonst droht Ordnungshaft.

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