Seniorentreibjagd! Sind wir alt und doof? Kommissar mit skurrilem Freizeitvergnügen „Seit mehr als 30 Jahren verfolge ich die K-Mafia!“
Sie waren schon mal auf einer Kaffeefahrt? Dann kennen Sie die Antwort. Sie hatten fröhlich-gesellige Stunden auf dieser gruseligen Seniorentreibjagd.
Ein Widerspruch!?
Nein! 80 Prozent der Gäste fahren wieder mit. Das heißt, wider besseren Wissens sind sie bei dem nächsten betrügerischen „Ausflug“ dabei. Das soll keine Schelte sein! Ich kann die Ausflügler gut verstehen.
Die Einladungen versprechen Geselligkeit, Unterhaltung, Gewinne und Geschenke.
Selbst meine Mutter fuhr gerne mit. „Um mal rauszukommen“, wie sie formulierte. Dabei wurde sie selbst Opfer dieser Straftäter. Meine Mutter, sonst sehr sparsam und vernünftig, hatte sich eine billige Decke als „Lama-Alpaka-Gesundheitsdecke“ für 600 Mark aufschwatzen lassen. Klar, dass ich sie bei den nächsten „Ausflügen“ begleitet habe. Wozu ist sonst ein Polizist in der Familie gut? ;-)
Meine vielen Fahrten waren natürlich keine Dienstzeit.Denn zu Recht befürchtete mein Chef, dass er mich dann kaum mehr zu Gesicht bekäme. Ich war fasziniert von diesen Ganoven! Sie waren gut! Sie schafften es, wildfremden Menschen ein Phantasieprodukt für das zwanzigfache des eigentlichen Wertes zu verkaufen.
Meine Faszination schlug jedoch schnell in Abscheu um.
Wie dreist ist es, gezielt mit der Einsamkeit der älteren Menschen zu arbeiten. Sie mit Versprechungen anzulocken und dann die finanziell eher nicht so gut ausgestatteten Senioren gnadenlos abzuzocken. Selbst bei ihrer Vorstellung lügen sie. Keiner der Anwesenden zweifelt an den Worten des Vortragenden, wenn dieser sich als Dr. med. Martens, Sportmediziner aus Rostock, vorstellt. Meine ersten Fahrten liegen nun mehr als 30 Jahre zurück. Seit dem habe unzählige Fahrten mitgemacht. Bei 100 habe ich aufgehört zu zählen. Im Jahr 2000 war ich bundesweit der erste Kaffeefahrer, der das neue Verbraucherrecht in Anspruch nahm. (§ 661 a BGB – Gewinnzusagen)
Jedem Fahrgast war ein Gewinn von 10.000 DM versprochen worden. Im Saal forderte ich unverzüglich jedoch vergeblich die 10.000 DM ein. Ich rief die Polizei, die mir die Personalien des Verkäufers mitteilte. Mit Rückendeckung meiner Rechtsschutzversicherung ermittelte mein fleißiger Anwalt den tatsächlichen Zahlungspflichtigen und erwirkte einen Mahnbescheid. Leider konnte dieser nicht zugestellt werden, weil der Adressat mit unbekanntem Ziel verschwand.
Mein Fall erregte nicht nur bundesweit Aufsehen. Zum ersten Mal reagierte die Kaffeefahrten-Mafia.
Ich erhielt einen anonymen Drohbrief. Allerdings löste die Androhung von Schlägen bei mir das Gegenteil aus. Ich verfolgte nun jede mir bekannte „Kaffeefahrt“. Damals lag die Schätzung bei bundesweit 100.000 Verkaufssveranstaltungen.
Fünf Millionen Gäste würden für einen Umsatz von 500 Millionen sorgen. Die kriminellen Verkäufer sollten monatlich 15.000 bis 50.000 Euro verdienen. Die Hintermänner würden Millionen kassieren.
Meine unnachgiebige Verfolgung, die immer häufiger von Funk, Fernsehen (u. a. Pastor Fliege, Frank Elstner, LANZ, Maischberger) und Presse (BILD, dpa) begleitet wird, erzielt die beabsichtige Wirkung. Ich finde Mitstreiter bei Behörden und Privatpersonen. Die Veranstaltungen werden weniger. Dafür werden die Ganoven um so dreister. Super-Luxus-Vitamine werden jetzt als Gesundheitskuren zum 60-fachen des eigentlichen Wertes verkauft. Und die Betrüger fahren mit den Senioren sofort zur nächsten Bank, um sich das Geld auszahlen zu lassen. Oder die Veranstaltungen dauern bis zu 10 Stunden, damit auch noch genügend „Kleinteile“ verkauft werden können.
Also – alles umsonst? Betrug ohne Ende?
Nein! Zumindest in Sachen betrügerischer Kaffeefahrten wird es bald ein Ende haben. So hoffe ich! Denn dem Bundestag liegt seit Monaten auf Initiative Bayerns ein Gesetzesentwurf zur Abstimmung vor. Das „Gesetz zur Stärkung des Verbraucherschutzes bei Verkaufsveranstaltungen im Reisegewerbe“ sieht u. a. vor, das Bußgeld für nicht angemeldete Veranstaltungen von 1.000 auf 10.000 Euro zu erhöhen.
Also, liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie es denn nicht lassen können, gönnen Sie sich noch den Horror bzw. das Vergnügen einer Kaffeefahrt. Vermuten Sie Betrüger vor sich, rufen Sie die Polizei über den kostenfreien Notruf 110. Die Polizei erscheint und prüft den Sachverhalt. Haben Sie sich zu einem Kauf hinreißen lassen, schämen Sie sich nicht! Bereits in der Gaststätte können Sie vom Kauf zurücktreten. Ansonsten haben Sie ein Widerspruchsrecht von mindestens 14 Tagen. Sie können sich bei den Verbraucherzentralen beraten lassen. Eine Betrugsanzeige bei der Polizei sollten Sie zeitnah erstatten, damit der Ermittlungserfolg nicht gefährdet wird.
Also – bis gleich….auf einer Kaffeefahrt…
Ihr „Kaffeefahrten-Schreck“ Bernhard Stitz, auch als „Jäger der versprochenen Schätze“ unterwegs ;-)
Ich war 43 Jahre bei der Schutzpolizei. Schutzmann = Mein Traumberuf. Als Stadtteilpolizist war ich die letzten 15 Jahre für die Prävention und die Strafverfolgung zuständig. In meinem Zuständigkeitsbereich bearbeitete ich Kinder- und Jugendkriminalität und Strafanzeigen im „sozialen Nahbereich“. Zur Prävention gehörten u. a. meine Vorträge zum Thema „Kaffeefahrten“. In Sachen Kaffeefahrten habe ich lediglich Owi- und Strafanzeigen erstattet. Ich habe hier aber nicht ermittelt.
Die Strafanzeige gegen „Dr. med. Bernd Martens“ (Missbrauch von Titeln – 132 a StGB, der Name war natürlich auch falsch) war nicht aufwändig. Diese Akte habe ich selbst erstellt und an die Staatsanwaltschaft abverfügt. Zumal die Tat an meinem Dienstort geschah. Auch nach meiner Pensionierung halte ich auf Wunsch Vorträge zu meinem Lieblingsthema.
Zum Beispiel im September in Flensburg beim „Offenen Kanal“ und bei der kath. Kirchengemeinde St. Ansgar.
Bernhard Stitz, ein Unterstützer des Medienprojekts VOLLDRAHT
VOLLDRAHT - mehr als nur Informationen