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Di, Feb
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Abgeordneter klagt: "Kein Kontakt mehr zum realen Leben"

Deutschland
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Verunglimpfung der Europäischen Hymne, Zulassungsbestimmungen zu Pflanzenschutzmittel und die Ausbaustrecke Hanau-Gelnhausen: Über all diese Themen diskutierte der Bundestag in Zeiten von Corona - nicht jedoch über Probleme, die etwa unseren Einzelhandel schwer belasten.

Der parteilose Abgeordnete Mario Mieruch klagt, dass unser Parlament lieber die Welt rettet als unsere Wirtschaft, dass die Corona-Einschränkungen im Hohen Haus gefährlich und unnötig sind - und die Rechte der Abgeordneten bei der Kontrolle der Regierung so weit eingeschränkt, dass man von einer Missachtung des Parlaments sprechen kann. EXKLUSIV auf meiner Seite.

 

Frage: Sie wundern sich über die Themen, mit denen sich der Bundestag befasst. Warum?


Mieruch: Wir befinden uns in einer nie vorher dagewesenen Krisensituation. Der Bundestag hat, völlig zu Recht, eine pandemische Lage festgestellt. Er hat dann aber auch seine Beschlussfähigkeit bis zum 30.9 auf 25 Prozent reduziert. Das heißt, es reicht, wenn ein Viertel der Abgeordneten, also von 709 nur mindestens 178, anwesend ist. Unter solchen Rahmenbedingungen erwarte ich eine klare Priorisierung von Themen, die unmittelbar und existenziell krisenbedingt behandelt werden müssen. Wenn man aber auf die Tagesordnung blickt, findet man dort Dinge, die so gar nicht zur pandemischen Lage passen.

Frage: Welche?


Mieruch: Waren die unmittelbaren Plenartage nach dem Lockdown noch fast vollständig von Corona-Themen dominiert, haben wir jetzt Punkte, bei denen man sich durchaus fragen muss, ob die jetzt, bei nach wie vor reduzierter Beschlussfähigkeit, wirklich wichtig sind. Das geht los mit Zulassungsbestimmungen zu Pflanzenschutzmitteln, Blutspendeverbot oder einer 40-minütigen Debatte über eine Ausbaustrecke Hanau-Gelnhausen. Auch Tschernobyl und Fukushima haben ebenso wenig mit Corona zu tun, wie das Adoptionshilfegesetz. Oder die Änderung des Wasserhaushaltsgesetzes. Und jede Menge anderer Dinge, in der vorigen Sitzungswoche etwa die Änderung des Strafgesetzbuches, dass das Verunglimpfen der europäischen Hymne und der europäischen Fahne unter Strafe gestellt wird. Da muss man sich wirklich fragen: Nichts davon hat in irgendeiner Weise mit der pandemischen Lage zu tun. Wofür braucht es dann jetzt noch diese reduzierte Beschlussfähigkeit?

Frage: Umgekehrt beklagten Sie, dass viele Themen, die jetzt wichtig wären, nicht auf der Tagesordnung sind?

Mieruch: Ja, letzte Woche war geplant, endlich die Gesetzesänderung zur Bon-Pflicht zu besprechen. Denn immerhin leiden unsere Bäcker, Einzelhändler und viele andere Unternehmer unter dieser neuen Regelung, die sich ja als ziemlich unsinnig erwies. Erstaunlicherweise hat man es aber geschafft, das Thema zum fünften Mal in Folge von der Tagesordnung zu nehmen. Das heißt, die tatsächlichen Alltagsbelange unserer Einzelhändler spielen im Bundestag offensichtlich derzeit keine wirkliche Rolle, während aber wohl ausreichend Zeit für jede Menge Anderes war und ist. Da frage ich mich auch, was die FDP eigentlich so treibt?

Frage: Inwiefern?


Mieruch: Die wollte ja immer einmal Mittelstandspartei sein. Und sie hat auch einen gar nicht mal so unsinnigen Änderungsantrag vorbereitet. Aber scheinbar besteht sie nicht darauf, dass der endlich zur Sprache kommt und hat mehrfach hingenommen oder selbst entschieden, dass er wieder heruntergenommen wurde. Derweil läuft der Unsinn mit den Doppelbons für alle weiter.

Frage: Wie erklären Sie sich das, dass man im Bundestag breit über die Gesundheitslage weltweit spricht, aber nicht über die Probleme unserer Wirtschaft vor der Haustüre?


 

Mieruch: Man hat des Öfteren den Eindruck, dass der Bundestag eher ein besonderes Augenmerk darauf legt, weltweit eine Vorreiterrolle einzunehmen. Die Redensart „am deutschen Wesen soll die Welt genesen“ ist der deutschen Politik ja bereits in Klima-, Energie- und Migrationsfragen ausgeprägt zu eigen. Wenn man mit dem realen Leben vor der eigenen Haustüre nicht mehr so viel in Berührung kommt und es augenscheinlich auch gar nicht so richtig will, kann man schön davon ablenken, dass die Corona-Entwicklung hierzulande die ersten sechs Wochen trefflich verschlafen wurde, weil unser Gesundheitsminister mit seinen Partei-Karriereambitionen und alle anderen mit dem Ministerpräsidentenwahltheater in Thüringen beschäftigt waren. Die Dauerhybris, stets schlauer sein zu wollen, als der Rest der Welt, die kommt on top.

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