In unwissenden Kreisen wird das schöne Märchen kolportiert, das Bundesverfassungsgericht sei a) das höchste Gericht in Deutschland, b) das Hüterle der Verfassung und c) seine Entscheidungen wären so etwas wie Gottesurteile oder doch zumindest Anzeichen für die Existenz des Weihnachtsmannes, worauf wohl die Roten Roben schließen lassen sollen.
Diese frohe Botschaft wird von der öffentlichen Gewalt und der seriösen Wahrheitspresse jedes Jahr mehrmals verkündet und von allerley Spiel und Gauckeley begleitet. Deshalb schenkt der deutsche Bürger dem Bundesverfassungsgericht all sein Vertrauen, welches auch nicht erschüttert wird durch merkwürdige Entscheidungen, wie zum Beispiel die wohl häufigste Entscheidung, nicht zu entscheiden, obwohl das Grundgesetz dem Bundesverfassungsgericht nicht nur keine Ermächtigung zur Nichtentscheidung verleiht, sondern im Gegenteil sogar diejenigen Fälle bezeichnet, in denen das Bundesverfassungsgericht entscheiden muss.
Zu diesem unerschütterlichen Glauben an die Retter der deutschen Nation tritt die weitere frohe Botschaft, die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts hätten Gesetzeskraft und alle öffentliche Gewalt hätte zu kuschen, so dass im Allgemeinen der Eindruck erweckt wird, die Richter am Bundesverfassungsgericht wären allmächtige Fahrkartenkontrolleure in der U-Bahn des Lebens und alle Amtsträger würden vor Angst zittern, wenn sie keine Fahrkarte in das Jenseits des deutschen Volkskörpers gelöst hätten. Dieser, wie wir sehen werden, Irrglaube beruht – außer auf der Hoffnung, Godot käme doch eines Tages um die Ecke – auf dem Inhalt des § 31 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes sowie einer ganzen Menge an Unwissen über die Entstehung, Funktion und Wirkweise von Gesetzen.