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Di, Feb
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Steuer-Umfrage - journalistisches Hütchenspiel

Gesellschaft
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Sind die Deutschen zu einem Volk von Masochisten geworden? Das war mein erster Gedanke, als ich heute las, dass drei Viertel der Deutschen gerne Steuern zahlen.

Die Nachricht ist fast allgegenwärtig, welche Seite man auch immer öffnet - mit großer Wahrscheinlichkeit stößt man drauf. Irgend etwas muss mit meinem Bekannten- und Freundeskreis nicht stimmen, war mein zweiter Gedanke: Der ist ziemlich groß, aber ich kenne keinen einzigen, der gerne Steuern zahlt. Ob sie sich alle verstellen? Sich klammheimlich, im stillen Kämmerchen, darüber freuen, dass ihre Heimat eines der Länder mit der höchsten Steuerbelastung ist?

Mein dritter Gedanke war ein Zitat, das Winston Churchill zugeschrieben wird: "Glaube an keine Umfrage, die du nicht selbst gefälscht hast." Als ich dann - was heute (anderen) Umfragen zufolge nur noch eine Minderheit der Leser tut - über die Überschrift hinaus etwas erfahren wollte und die Texte öffnete, war mein Staunen nicht schlecht, als ich las, dass das Bundesfinanzministerium die Umfrage selbst in Auftrag gegeben hat. Das ist dann in etwa so, wie wenn die Tabakindustrie nachfragen lässt, ob Rauchen Spaß macht, oder der Verband der Zuckerhersteller, ob die Menschen es gerne süß haben.

Na, hoffentlich wird die Umfrage jetzt auseinander genommen im Verlauf des Textes, war mein nächster Gedanke: Das Ganze schreibt doch geradezu danach, zerlegt zu werden. Doch nichts der gleichen. Nirgends. Zumindest nicht da, wo ich nachgelesen habe. Dabei sind die Zahlen per se widersprüchlich.

"Allerdings ist auch eine knappe Mehrheit von 53 Prozent der Befragten der Meinung, sie müssten persönlich zu viel Steuern und Abgaben zahlen", heißt es weiter unten in den meisten Texten. Moment - dann stimmt doch die Überschrift nicht, sagte ich mir sofort: Kann jemand gerne etwas bezahlen, was er für überhöht hält?

Die Widersprüche gehen noch weiter: "Acht von zehn Befragten (82 Prozent) sind in der Umfrage von Kantar Public der Auffassung, dass es keine Steuergerechtigkeit gebe, weil die Reichen doch immer einen Weg finden, um weniger Steuern zu zahlen als sie müssten." 82 Prozent halten die Besteuerung für ungerecht, und trotzdem zahlt eine Mehrheit gerne? Wie kann das sein?

Und weiter: " Sechs von zehn Befragten meinen überdies, die Steuermittel kämen stärker Unternehmen als der Bevölkerung zugute." Entschuldigen Sie die Wiederholung - aber auch das drängt wieder die Frage auf - warum zahlen sie dann gerne? Und weil es so schön ist, noch ein Beispiel aus dem Text: "Allerdings sind nur 38 Prozent der Befragten der Meinung, dass Steuergeld im Allgemeinen sinnvoll verwendet wird. Etwa drei Viertel meinen, es sei schwer nachvollziehbar, wofür die Steuern überhaupt verwendet würden." Die Frage, die sich daraus ergibt, erspare ich mir.

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