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WIE ENTWICKELN SICH DIE INTERNATIONALEN BEZIEHUNGEN? Ein Gespräch mit Thierry Meyssan

Europa
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In einem Gespräch mit der Vereinigung «Egalité et Réconciliation» [Gleichheit und Versöhnung] beschreibt Thierry Meyssan die Komponenten und Projekte der neuen US-Administration. Seiner Meinung nach kehrt Washington heute nach dem Zwischenspiel von Bush/Cheney mit dem Irak-Krieg zum Konsens nach dem 11. September und seinen Widersprüchen in den Jahren 2001–2002 zurück.

Aber die militärische Erschöpfung im Irak und die Finanzkrise an der Wall Street zwingen das Imperium dazu, die Strategien und die Zeitplanung zur Fortsetzung der Globalisierung zu überdenken.

E&R : Thierry Meyssan [1], man sieht Sie nicht mehr in Frankreich. Was ist aus Ihnen geworden?

Thierry Meyssan : Ich lebe zurzeit in Libanon. Nachdem Nicolas Sarkozy an die Macht kam, bin ich von hohen französischen Funktionären direkt bedroht worden. Freunde im Verteidigungsministerium haben mich darüber informiert, dass die Vereinigten Staaten mich als Bedrohung für die nationale Sicherheit betrachten. Im Führungskader der Nato haben sie von den alliierten Diensten verlangt, mich auszuschalten, und gewisse Franzosen schienen übereifrig dazu bereit. Ich habe mich daher entschieden, nicht nur Frankreich, sondern den Bereich der Nato zu verlassen. Nachdem ich von Caracas über Damaskus und im Vorbeigehen noch über Moskau gezogen bin, habe ich mich in Beirut niedergelassen, wo ich mich in den Dienst des Widerstandes gestellt habe.

E&R : Worüber arbeiten Sie im Moment?

Thierry Meyssan : Ich arbeite gegenwärtig an einem Buch, einer Analyse der Regierung Obama, ihrer Ursprünge, ihrer Zusammensetzung, ihrer Projekte usw. Eine erste, auf einige Exemplare beschränkte Ausgabe wird nächsten Monat an einige Entscheidungsträger gegeben. Danach wird im Herbst eine Ausgabe für die breite Öffentlichkeit in verschiedenen Sprachen veröffentlicht werden. Ich lebe ausschliesslich von dem, was ich schreibe, und arbeite mit politischen Zeitungen und Zeitschriften im Nahen Osten und in Russland zusammen.

E&R : Wie lautet Ihre Analyse der Entwicklung der amerikanischen Politik?

Thierry Meyssan : Heute verbreitet sich ein relativer Konsens, was den Misserfolg der Politik Bush betrifft – das übermässige militärische Aufgebot, die verhängnisvollen Konsequenzen des Unilateralismus auf die Beziehungen zu den Verbündeten und den Verlust der US-Führungsrolle. Seit dem Jahre 2006 haben sich James Baker und Lee Hamilton, die eine vom US-Kongress eingesetzte Kommission zur Evaluierung der Irak-Strategie präsidierten, für eine Rückkehr zu einer klügeren ­Politik eingesetzt. Sie haben einen Rückzug aus dem Irak empfohlen und sich für eine vorsichtige Annäherung an die Anrainerstaaten (Syrien, Iran) eingesetzt, die unerlässlich ist, um zu vermeiden, dass der Abzug der GIs zu einem Debakel wird wie [in den 70er Jahren] in Vietnam. Die Gruppe hat Donald Rumsfeld zum Rücktritt gezwungen und als Nachfolger Robert Gates, ein Mitglied ihrer Kommission, durchgesetzt. Wohl haben sie die ­Politik der «Neuordnung des Grösseren Nahen Ostens» eingefroren, aber sie haben es nicht geschafft, dass George Bush und Dick Cheney diese aufgaben; aus diesem Grund musste mit Barack Obama eine Zäsur organisiert werden.

In Wirklichkeit wurde Obama seit 2004 für das Rennen in den US-Senat und die Präsidentschaft lanciert. Er betrat die Szene anlässlich des demokratischen Konvents zur Nomination von John Kerry. Er war damals lediglich ein unbedeutender Abgeordneter im Parlament von Illinois, aber schon damals wurde er von Abner Mikva und seinen Mitarbeitern (Jews for Obama) betreut und gedrillt und von der angelsächsischen ­Finanzwelt (Goldman Sachs, JP Morgan, Excelon …) unterstützt. Die Multinationalen Konzerne, die in Sorge waren, ihre Marktanteile je nach Zunahme des Antiimperialismus (Geschäft für Diplomatie) zu verlieren, die Anhänger der Baker-Hamilton-Kommission, die gegen die unsteten Abenteuer der Neokonservativen revoltierenden Generäle und noch weitere haben sich immer mehr um ihn geschart.

Viele Franzosen glauben, der Präsident der Vereinigten Staaten werde auf einer zweiten Stufe durch die Wahlmänner gewählt. Das ist falsch. Er wird von einem Gremium gewählt, dessen Mitglieder von Notabeln, Standesangehörigen, ernannt werden. Im Jahre 2000 [im Zusammenhang mit der 1. Wahl von Georg W. Bush] hat der Oberste Gerichtshof daran erinnert, dass der Urnengang der Bürger lediglich konsultativ ist und dass der Gouverneur von Florida die Delegierten seines Staates für das Wahlgremium für die Präsidentschaftswahl ernennen könne, ohne die Auszählung der Stimmen der Gesamtwahl nur abzuwarten.

In diesem oligarchischen System gibt es eine einzige Partei mit zwei Strömungen: den Republikanern und den Demokraten. Aus rechtlicher Sicht bilden sie nicht zwei verschiedene Körperschaften. So sind es die Staaten, welche die Primärwahlen organisieren, mittels Pseudo-Parteien. Es ist daher nichts Überraschendes dabei, dass sowohl Joe Biden als auch Barack Obama alte Freunde von John McCain sind. So präsidiert McCain das International Republican Institute (IRI), ein Organ des Aussenministeriums, damit beauftragt, die Rechtsparteien in der Welt zu korrumpieren, während Obama im Rahmen des [ebenfalls staatlichen], von Madeleine Albright präsidierten, National Democratic Institute for International Affairs (NDI) arbeitet, welches mit der Korrumpierung der Linksparteien betraut ist. Gemeinsam haben sich McCain, Obama und Albright an der Destabilisierung von Kenia beteiligt – anläss­lich einer CIA-Operation, mit der ein Cousin von Obama als Premierminister durchgesetzt werden sollte.

All das soll zeigen, dass Obama nicht aus dem Nichts kam. Er ist ein Spezialist für Geheimaktionen und Subversion. Er ist für die Durchführung einer ganz genau umschriebenen Arbeit rekrutiert worden.

Wenn die zusammengewürfelte Koalition, die ihn unterstützt, im grossen und ganzen auch die gleichen Ziele verfolgt, so existiert unter deren einzelnen Teilen allerdings kein Konsens bezüglich der Einzelheiten. Das erklärt den unglaublichen Kampf, welchen die Nominierungen verursacht haben und die immer zweideutigen Aspekte der Reden von Obama.

Vier Pole stehen im Kampf miteinander:

1. Der Pol der Verteidigung rund um Brent Scowcroft, Generäle, die im Gegensatz zu Rumsfeld stehen, und natürlich Robert Gates, der heute der wahre Gebieter in Washington ist. Sie empfehlen die Beendigung der Privatisierung der Armee, einen «ehrenhaften» Auszug aus dem Irak, aber die Weiterführung der US-Anstrengungen in Afghanistan, um nicht den Eindruck der Auflösung zu vermitteln, und ­schliesslich ein Abkommen mit den Iranern und den Syrern. Für sie bleiben Russ­land und China Rivalen, die es zu isolieren und lahmzu­legen gilt. Sie gehen an die Finanzkrise heran wie an einen Krieg, im Zuge dessen sie Rüstungsprogramme verlieren und die Grösse der Armeen reduzieren werden, aber eine relative Überlegenheit beibehalten müssen. Solange sie die stärksten bleiben, ist es egal, wenn sie an Macht verlieren.

2. Das Finanz- und das Wirtschaftsdepartement rund um Tim Geithner und Paul Volcker, den Schützlingen der Rocke­fellers. Sie stammen aus der Pilgrims Society und stützen sich auf die Gruppe der Dreissig, das Peterson Institute und die Trilaterale Kommission. Unterstützt werden sie durch Königin Elisabeth II, und sie wollen gleichzeitig die Wall Street und die [Londoner] City retten. Für sie ist die Krise ein harter Schlag, weil sich die Einkünfte der Oligarchie auf Talfahrt befinden, aber es ist vor allem eine traumhafte Gelegenheit zur Konzentration des Kapitals und dazu, die Widerstände gegen die Globalisierung zu zertreten. Sie sind gezwungen, ihren Lebensstil vorübergehend zu mässigen, um keine sozialen Revolutionen auszulösen, aber gleichzeitig können sie sich dadurch bereichern, dass sie industrielle Prunkstücke für ein Stück Brot aufkaufen. Langfristig haben sie das Projekt – nicht gerade eine weltweite Steuer auf das Recht zu atmen, das wäre grobschlächtig –, sondern eine globale CO2-Abgabe und eine Börse für Emissionsrechte zu errichten – was mehr oder weniger auf das Gleiche hinausläuft, aber ökologisch scheint. Im Gegensatz zum Pentagon setzen sie sich für eine Allianz mit China ein, namentlich deswegen, weil es 40% der US-Staatsanleihen hält, aber auch um das Aufkommen eines fernöstlichen Wirtschaftsblocks rund um China zu verhindern und die afrikanischen Rohstoffe abzuführen.

3. Der Pol um das Aussenministerium rund um Hillary Clinton, einer fundamentalen Christin, Mitglied einer sehr geheimen Sekte, der Fellowship Foundation (genannt «Die» Familie). Das ist das Refugium der Zionisten, das letzte Reservat der Neokonservativen auf dem Weg der Auflösung. Sie befürworten eine bedingungslose Unterstützung Israels mit einer Spur Realismus, denn sie wissen, dass das Umfeld sich verändert hat. Es wird nicht mehr möglich sein, Libanon zu bombardieren wie 2006, denn die Hisbollah verfügt heute über leistungsfähige Luftabwehr-Waffen. Es wird nicht mehr möglich sein, nach Gaza einzudringen wie 2008, denn die Hamas hat Kornet-Panzerabwehr-Geschosse erworben. Und wenn die Vereinigten Staaten daran zu schlucken haben, die Rechnungen von Tel-Aviv zu bezahlen, ist es wenig wahrscheinlich, dass die Saudis dies langfristig ausgleichen könnten. Man muss daher Zeit gewinnen, notfalls mittels einiger Konzessionen und strategischen Nutzen für Israel finden.

Die Hauptmission von Frau Clinton besteht darin, das Image der Vereinigten Staaten zu verbessern, nicht nur durch das Knüpfen öffentlicher Beziehungen (das heisst Rechtfertigen der Politik Washingtons), sondern auch durch Publizität (das heisst Anpreisen der realen oder imaginären Qualitäten des US-Modells). In diesem Zusammenhang sollten die Zionisten das Projekt Korbel–Albright–Rice vorantreiben, mit dem die Uno zu einem ausgedehnten impotenten Forum umgestaltet und eine neue Konkurrenzorganisation geschaffen werden soll, die «Gemeinschaft der Demokratien», gestützt auf ihren bewaffneten Arm, die Nato.

Mit dem stellvertretenden Staatssekretär James Steinberg betrachten sie die Finanzkrise wie einen Blitzkrieg. Es wird dabei viel zu Bruch gehen, aber das ist der Moment, um die Rivalen zu vernichten und sich durch Überrumpelung der Steuerknüppel zu bemächtigen. Ihr Problem besteht nicht darin, Reichtümer durch Käufe und Fusionen anzuhäufen, sondern den Finanzministerien und den Spitzen der Bank­institutionen überall auf der Welt ihre Leute aufzuzwingen.

4. Schliesslich macht [als 4. Pol] der Nationale Sicherheitsrat den Einfluss von Zbigniew Brzezinski geltend, der in Columbia der Professor Obamas war. Dieser müsste seine traditionelle Rolle des Koordinierens aufgeben, um zu einem wahrhaften Kommandozentrum zu werden. Er wird von General Jones dirigiert, der Oberkommandierender der Nato war und das African Command aus der Taufe gehoben hat. Für sie ist die Finanzkrise eine Krise der imperialen Strategie. Es ist die enorme Verschuldung, die zur Finanzierung des Krieges im Irak aufgenommen wurde, welche den wirtschaftlichen Zusammenbruch der Vereinigten Staaten herbeigeführt hat. Im Gegensatz zu 1929 wird der Krieg nicht die Lösung sein, er ist das Problem. Man muss daher drei Pläne gleichzeitig verfolgen: Die Kapitalvermögen zwingen, in die Vereinigten Staaten zu kommen, indem man die konkurrierenden Steuerparadiese zerschlägt und die Wirtschaften der entwickelten Länder destabilisiert (wie das in Griechenland getestet worden ist); die Illusion der US-Militärmacht aufrechterhalten, indem man die Besetzung Afghanistans weiterführt; und das Abwürgen der entstehenden Allianzen zwischen Syrien–Iran–Russland und vor allem zwischen Russland und China (die Shanghai Cooperation Organisation). Der [Nationale Sicherheits-]Rat wird alle Formen von Geheimaktionen begünstigen, um dem Pentagon die nötige Zeit zur Reorganisation zu verschaffen.

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