Bild: ADN-ZB, Oberst 7.9.87 - BRD: Honecker-Besuch. Der Altkanzler verstand sich als Dienstleister für Konzerne und Investoren: In der Pfalz, in Deutschland und Europa. Er diente den USA und sie halfen ihm. Seine Europäische Union zerfällt in arm und reich und rüstet auf.
Erinnernde Anmerkungen von Werner Rügemer Aktualisiert 22.Juni 2017/wr
In den Würdigungen zum Tod des Alt-Bundeskanzlers taucht „die Spendenaffäre“ routinemäßig als missliches Vergehen Helmut Kohls zum Ende der Amtszeit auf. Die Angelegenheit soll durch die angeblich historischen, ja welthistorischen Verdienste Kohls für die Wiedervereinigung und die Europäische Union relativiert werden. Dabei wird mit der "Flick-Affäre" ein wesentlich größerer Skandal ausgeblendet, der schon am Anfang seiner Amtszeit für Wirbel sorgte. Bei näherer Betrachtung zeigt sich: Korruption, Lobbyismus und Klientel-Politik für die Reichen und Mächtigen sind keine Ausrutscher, sondern gehören seit ihrer Gründung zur CDU und zum „System Kohl“.
Unternehmensbespendung der CDU von Anfang an
Kohls letzte „Spenden-Affäre“ kam ans Licht, als er 1998 die Wahl verloren hatte und die Loyalitäten nach vier Regierungsperioden sich auflösten. Über mindestens ein Jahrzehnt hatte der CDU-Vorsitzende und Bundeskanzler, so hatte sich herausgestellt, schwarze Kassen mit Unternehmensspenden gefüllt und mit Zahlungen daraus innerparteiliche Machtkämpfe geregelt. Briefkastenfirmen und Nummernkonten in der Schweiz gehörten zum „System Kohl“. Wegen eines von Kohl behaupteten „Ehrenwortes“, das er den Spendern gegeben habe, nannte er deren Namen nicht. Die CDU musste dafür Strafe zahlen, Kohl blieb straffrei. Mafia auf deutsch-christlich.
Ein Chemie-Lobbyist aus der Pfalz
Doch Spenden, Unternehmens-Spenden für die CDU, legale wie illegale, waren von Beginn an routinemäßige Praxis des Unternehmens-Lobbyisten. Die einzige berufliche Tätigkeit des jungen Politchristen außerhalb des Polit-Business bestand in einer Referenten-Tätigkeit für den Landesverband Rheinland-Pfalz der Chemischen Industrie. Sie dauerte ein Jahrzehnt lang und prägte ihn lebenslang. Konkret bedeutete das: Lobbyismus für die in Kohls pfälzischer Heimat alles dominierende BASF - das größte Chemie-Unternehmen der Welt mit Sitz in Ludwigshafen, in dessen Vorort Oggersheim Kohl beheimatet war. Sein Arbeitgeber bezahlte Kohl nicht nur für seine Referententätigkeit, sondern förderte auch seinen gleichzeitigen und aufwendigen Aufstieg in der Landes-CDU. Während seiner Arbeitszeit konnte CDU-Sitzungen leiten und Wahlkämpfe bestreiten.
So wurde er 1969 Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz und blieb dies bis zu seinem Aufstieg auf die Bundesebene 1976. In Koblenz, im etwas abgeschiedenen, kleinen Bundesland residierte die Staatsbürgerliche Vereinigung 1954 e.V. Sie unterhielt Filialen in Köln, Düsseldorf und Duisburg, wo die Großspender der Ruhrindustrie ihre Spenden einzahlten. Diese Spendenwaschanlage war – neben anderen, die es auch noch gab in Adenauer-Land - besonders ergiebig, denn sie hatte besonderen Schutz.
Kohls Staatskanzlei hatte die Finanzämter im Griff, die Spenden flossen heimlich, illegal, gezielt und steuerbegünstigt. Gleichzeitig verband eine besonders enge Freundschaft den in der CDU aufstrebenden Ministerpräsidenten des kleinen Bundeslandes mit einem gewissen Herbert Batliner. Der war Ex-Präsident des Staatsgerichtshofes des noch viel kleineren Fürstentums Liechtenstein, aber dessen größter Organisator von Briefkastenfirmen für Steuerhinterzieher und Parteibespender aus der Bundesrepublik. Bei kumpelhaften Bergwanderungen in den fürstlichen Bergen vertieften die beiden Freunde ihre persönlichen und finanziellen Beziehungen, ohne dass die CIA mithören sollte.
Flick: Die viel größere „Spenden-Affäre“
In den jetzigen Würdigungen wurde zwar pflichtgemäß und zugleich großherzig verzeihend auf „die Spenden-Affäre“ hingewiesen, als ob es nur diese eine gegeben hätte. Vergessen wurde ebenso großherzig eine viel größere Spenden-„Affäre“. Sie erschütterte mit Beginn der Kanzlerschaft Kohls ab 1982 das politische Leben der Bundesrepublik. Es war die Flick-„Affäre“.
Tatsächlich ist der Begriff verharmlosend: Es ging um knallharte Wirtschaftskriminalität. Es stellte sich heraus, dass der Flick-Konzern seinen Verkauf von Daimler-Aktien an die Deutsche Bank von der Bundesregierung gern als „volkswirtschaftlich förderlich“ eingestuft sehen wollte. Das bedeutete einen Steuervorteil von 986 Millionen DM. Dafür zahlte Flick heimlich und illegal an Mitglieder der damaligen Bundesregierung aus SPD und FDP. Das meiste, nämlich 1,56 Millionen DM, bekam Rainer Barzel (CDU) als Bundestagspräsident, danach die Parteivorsitzenden der FDP, Hans-Dietrich Genscher, nämlich 1,05 Millionen DM, dann Franz-Josef Strauß (CSU), nämlich 950.000 Millionen DM und dann auch der CDU-Vorsitzende Helmut Kohl, nämlich 565.000 DM – das scheint vergleichsweise wenig gewesen zu sein, muss aber mit den 405.000 DM zusammengerechnet werden, die der CDU-Schatzmeister Leisler Kiep zugesteckt bekam – alles peanuts für Flick, viel für Kohl.
Die zuständigen Wirtschafts- und Finanzminister Otto Graf Lambsdorff und Hans Friderichs von der FDP bekamen 165.000 bzw. 375.000 DM. Sich durch Schmiergeld Vorteile erkaufen – seit Gründungskanzler Konrad Adenauer konnten Unternehmer sich solche berechtigten Hoffnungen machen. Tatsächlich genehmigten Lambsdorff und Friderichs die Steuerbefreiung. Als die beiden vor Gericht standen, kamen noch viel mehr Spender und Spenden ans Licht, von der Crème der deutschen Wirtschaft, Deutsche Bank bis Rheinmetall, Bosch bis Heckler & Koch. Auch die SPD hatte ein bisschen abbekommen. Vor einem Bundestagsausschuss konnte sich Kohl an gar nichts erinnern. Die Staatsanwaltschaft der Hauptstadt Bonn nahm Ermittlungen gegen ihn auf, die größte Bonner Anwaltskanzlei Dahs Sellner Redeker verteidigte ihn – erfolgreich.
Die Ermittlungen verliefen straflos im westlich-demokratischen Sande. Der CDU-Generalsekretär Heiner Geißler entschuldigte seinen Chef nachträglich mit „Blackout“.
Hauptsache Arbeit: US-Militär als Beschäftigungsmotor
Als junger Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz legte Kohl unmittelbar nach dem kritischen 1968er Jahr zeitgeistig Gewicht auf die „soziale Frage“, wie sie jedenfalls von seinem damaligen Sozialminister Heiner Geißler genannt wurde. Diese „Frage“ lösten Kohl und Geißler in Rheinland-Pfalz vor allem mithilfe des weitaus größten Investors des Bundeslandes. Das waren die US-Army und die US-Air Force. Rheinland-Pfalz wurde, auch mit vielen zivilen Arbeitsplätzen, zum wichtigsten militärischen Drehkreuz der westlichen Supermacht in Deutschland ausgebaut, für Flugübungen und Munitionslagerungen, für Rüstungs- und Truppen-Transporte zu und von den wichtigen Kriegsschauplätzen zwischen Korea, Laos, Kambodscha und Vietnam.
In Ramstein wurde dazu auch das größte US-Militärkrankenhaus außerhalb des US-Territoriums gebaut und brachte umso mehr Arbeitsplätze je länger die Kriege dauerten.Einen zentralen Angriff auf die Gewerkschaften wagte Kohl nicht, obwohl seine geschätzten Freunde Ronald Reagan und Margret Thatcher in den USA und in Großbritannien solches gerade erfolgreich getan hatten. Die Kohl-Regierung ließ 1986 lediglich durch das „Gesetz zur Sicherung der Neutralität der Bundesanstalt für Arbeit bei Arbeitskämpfen“ absichern, dass „kalt“ ausgesperrte Beschäftigte – die durch Streiks in anderen Unternehmen betroffen waren – kein Arbeitslosengeld mehr bekommen durften.
Deutsche Einheit: Lohnstagnation beginnt
Direkt gegen Gewerkschaften und abhängig Beschäftigte tat Kohl nichts, aber indirekt umso mehr. Mit der deutschen Einheit ab 1990 begannen in Deutschland auf breiter Front die Löhne zu stagnieren. In den östlichen neuen Bundesländern zahlten die westdeutschen Unternehmer sowieso weniger, und die Erpressung war wegen der hohen Arbeitslosigkeit leichter. Hunderttausende vor allem junger Menschen wanderten nach Westdeutschland aus und boten sich vielfach auch billiger an.
In Westdeutschland traten immer mehr Unternehmer aus Tarifgemeinschaften aus. McDonald’s, ALDI und UPS mobbten Betriebsräte aus ihren Filialen heraus, ohne dass die Regierung diesen zehntausendfachen Bruch des Betriebs-Verfassungs-Gesetzes (insbesondere § 119) auch nur erwähnte, geschweige denn verfolgen ließ. Ähnliches galt für die wachsende Zahl von Scheinselbständigen und die flächendeckende Einführung niedrigbezahlter Teilzeitarbeit. Die „soziale Frage“ ließ Kohl auch gegenüber den gehobeneren sozialen Schichten nicht los, nicht nur weil die Koalitionspartner FDP und CSU hier ihre Klientels hatten. Da waren andere Lösungen angesagt, beispielsweise die Privatisierung von Staatseigentum und die dabei mögliche Aktienspekulation.
Zerschlagung der Bundespost
In Absprache mit Investmentbanken der Wall Street ging die Kohl-Regierung erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik mehrere zentralstaatliche Privatisierungen an. Die Bundespost wurde in die drei Aktiengesellschaften Deutsche Post, Deutsche Telekom und die Deutsche Postbank AG aufgespalten und schrittweise für private Investoren geöffnet. Diesen langwierigen Prozess führte die SPD-Nachfolgeregierung unter Gerhard Schröder teilweise zu Ende. Kohl und Waigel schmückten vor allem die Telekom vor dem Börsengang als schöne Braut mit verschwenderischen Brautgaben: Die Bundespost wurde von allen laufenden und allen zukünftigen Pensionslasten der 227.000 Beschäftigten entlastet.
Die neuen Eigentümer mussten für sie nicht sorgen. So übernahmen die dazu ungefragten und bis heute unwissenden Steuerzahler_innen – die gesamten Pensionslasten. Sie belaufen sich mit Witwen- und Waisenrenten bis zum Jahre 2070 schätzungsweise auf 550 Mrd. Euro. Fragen Sie mal Ihren Bundestagsabgeordneten gleich welcher Partei, wieviel im Bundeshaushalt 2016, den er oder sie mit abgenickt hat, dafür ausgezahlt werden, vielleicht acht Milliarden Euro oder auch zehn oder ein bisschen mehr? In diesem Fall geht unserem ach so sparsamen Finanzminister Wolfgang Schäuble und der schwäbisch-mecklenburgischen Hausfrau Angela Merkel die so wichtige Schwarze Null ungeniert am Arsch vorbei.
Finanzprodukte für die kleinen Leute
Zu den großen Spendern der CDU, und auch der Koalitionsparteien CSU und FDP, gehörte Reinhard Pohl. Kohl und Pohl – die gehörten zusammen. Pohl löste auch einen Teil der „sozialen Frage“, wie Kohl sie verstand. Pohl war der Chef und Hauptaktionär der Deutschen Vermögensberatung AG (DVAG). Er baute sie zum größten Vertrieb für die Finanzprodukte des kleinen Mannes und der kleinen Frau auf: Lebens- und andere Versicherungen, Bausparverträge, Wertpapiere, später auch die Riesterrente. Damit wurde den Banken und Versicherungskonzernen der Anlagemarkt der kleinen Leute erschlossen. Mithilfe professioneller Warnungen vor den Unsicherheiten des Lebens haben Millionen Menschen Verträge unterschrieben, ob sie nun nötig, sinnvoll und ertragreich waren oder nicht.
Wohnungen auf den Markt!
Kohl leitete auch die Privatisierung der Wohnungen ein. Die "Investorenlegende" Karl Ehlerding spendete 5,9 Millionen DM an die CDU. Die Kohl-Regierung verkaufte ihm die 110.000 Wohnungen der Bundesbahn, die in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde. Ebenso erfand die Kohl-Regierung die Eigenbedarfskündigung. Damit förderte sie den Kauf bisheriger Mietwohnungen durch Besserverdiener und Spekulanten, die durch gezielte Falschangaben ihre Objekte rountinemäßig entmieten konnten.
Die sogenannte Eigenbedarfskündigung förderte eine Mentalität des straflosen Rechtsnihilismus, denn der Eigenbedarf eines Käufers war oft nur vorgeschoben. Falschangaben und Prozessbetrügereien von Vermietern wurden von spezialisierten Kanzleien routinemäßig verwendet, von Gerichten nicht geahndet und von Staatsanwaltschaften ignoriert. Als die Selbstbedienung der Chefs in der gewerkschaftsnahen Wohnungsgesellschaft „Neue Heimat“ ab 1982 nicht nur zur „Affäre“, sondern zum Skandal gemacht wurde, nutzte Kohl dies demagogisch für ein schon länger gehegtes Vorhaben. Die Regierung schaffte die Gemeinnützigkeit nicht nur der Neuen Heimat, sondern zugleich aller Wohnungsgenossenschaften in Deutschland ab. Sie hatten, im Unterschied zur Neuen Heimat, eine jahrhundertlange Tradition staatlicher, kommunaler und selbstverwalteter Wohnungspolitik gebildet: Es galt das Kostendeckungsprinzip, Einnahmen mussten reinvestiert werden. Aber Kohl förderte die profitgierige Privatinvestition.
Er leitete das Ende des sozialen Wohnungsbaus und die Mietsteigerungen des nun endlich auch hier zu seinem Wesen befreiten Kapitalmarktes ein.
Einstieg ins Privatfernsehen
Falls es jemand vergessen hat: Kohl setzte durch, was sein Vorgänger Adenauer unbedingt gewollt, aber nicht geschafft hatte: Die Abschaffung des „Rotfunks“. Rotfunk – das war für Adenauer und auch für Kohl über weite Strecken der nach dem Krieg gegründete Öffentlich-Rechtliche Rundfunk. Der verbreitete nach dem Vorbild der britischen BBC Radio und Fernsehen in Deutschland und war gewiss nicht systemkritisch. Trotzdem musste er weg oder jedenfalls sollte nach US-Vorbild dem etwas „Wirtschaftsfreundliches“ entgegengesetzt werden. Das war aber durch die SPD-geführten Bundesländer verhindert worden.
Unter Kohl, der auch aus andern Gründen exzellente Beziehungen nicht nur zur Finanzoase Liechtenstein, sondern auch zur näheren Finanzoase Luxemburg hatte und mit dem dortigen christkatholischem Junior Jean-Claude Juncker gute christliche Beziehungen unterhielt, begann 1984 dann doch die Privatisierung der Fernsehens. Bertelsmann betrieb RTL von Luxemburg aus, wo die Medien schon privatisiert waren und wo ein riesiger Satellitenpark, finanziert von der dortigen Filiale der Deutschen Bank, die transnationalen Sendeanlagen bereitstellte. Freilich wurde das auch möglich, weil die weichgeklopfte und um Wählerstimmen bangende SPD nun mitmachte: Der SPD-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Johannes Rau, stellte sein Bundesland als experimentelles Sendegebiet zur Verfügung. Populismus, BILD-Niveau und werbungsdurchsetzte Häppchenreize begannen nun auch im TV ihren Siegeszug. Auch die Öffentlich-Rechtlichen beugten sich bald der neuen Gottheit "Einschaltquote".In Kohls Wahlkreis Ludwigshafen durfte Sat 1 ebenfalls als privater Sender schon mal klein anfangen.
Privatisierung von Staatsvermögen im Osten
Der Verkauf von 40.000 ehemaligen DDR-Betrieben auf dem freien westlichen Markt brachte 270 Mrd. DM Verluste ein – Sie haben richtig gehört. Die gehätschelten Investoren waren so frei und die mit dem Verkauf betraute Treuhandanstalt war auch so frei: Sie verkaufte die staatlichen Unternehmen vielfach für eine symbolische DM, wobei die ach so staatskritischen Vertreter der freien westlichen Marktwirtschaft zur Bedingung machten, dass sie die Grundstücke, Patente, Guthaben und Belegschaften nur dann kräftig ausbeuten, wenn sie dafür noch staatliche Zuschüsse bekommen. So wurde die freie Marktwirtschaft, die sich vom Staat möglichst fernhält, angeblich, aus dem Staatshaushalt finanziert und trug zu dessen nicht mehr rückzahlbarer Überschuldung bei, an der Einigungs-Meister Wolfgang Schäuble heute mir weiteren Privatisierungen, Kürzungen und Schwarzer Null herumdoktert.
Damit das alles möglichst schnell und auch mal an Recht und Gesetz vorbei passierte – die von Kohl versprochenen „blühenden Landschaften“ sollten ja schnell herbeigezaubert werden -, stellte Kohl im Gespann mit Finanzminister Theo Waigel (CSU) die Investoren auch bei Gesetzesbruch, zum Beispiel bei Bestechung von Treuhand-Mitarbeitern, von jeglicher Strafverfolgung frei. Zur neuen Freiheit und zur richtigen Demokratie und zum vereinigten Deutschland gehören eben Korruption und Straffreiheit, diese Lektion hatten die aus dem „Unrechtsstaat“ Befreiten eben zu lernen. Schwache Gewerkschaften, niedrigere Löhne als im Westen, Auswanderung, Verarmung – blühende Landschaften oder was die Profiteure dafür halten, sind eben anders nicht zu bekommen, so die Lehre des promovierten Kapitalhistorikers Dr. Kohl.In die Treuhand holten Kohl-Waigel übrigens für horrende Honorare die transatlantischen Wirtschaftsprüfer von Price Waterhouse Coopers und KPMG und die Unternehmensberater von McKinsey, die mit ihrem hochprofessionellen Kauderwelsch-Denglisch jeden guten deutschen Politchristen und Sozialdemokraten vor Ehrfurcht erschauern lassen und den Wert von ex-sozialistischen Betrieben hochprofessionell auf Null begutachten konnten. Seitdem gelangten diese Berater in wachsender Zahl in Berliner Regierungskreise - unter Gerhard Schröder und erst Recht unter "Kohls Mädchen" Angela Merkel.
Verdienste? Historisch? Für wen?
Die aufwendigsten und häufigsten Staatsbesuche des Bundeskanzlers Kohl mit zahlreichem Personal auf beiden Seiten führten ihn nach Washington D.C. zu US-Präsident Ronald Reagan. Die Kohl-Regierung folgte den Vorgaben der Supermacht millimetergenau, sei es in der Frage der zahlreichen US-Militärbasen in der Bundesrepublik oder sonst in der NATO und weltweit. Kein Krieg und keine völkerrechtswidrige Intervention, die die Supermacht anzettelte, kein Diktator, den sie einsetzte, wurden von Kohl kritisiert. Überall sprangen dabei ja auch Vorteile für die Parteibespender Siemens, VW, Daimler, Deutsche Bank, BASF, Bayer und so weiter heraus. Zu Chiles mörderischem Putsch-Diktator General Augusto Pinochet konnte Kohl sich nur eine vergiftete Kritik abringen – nachdem es dazu selbst in der CDU lange rumort hatte, etwa durch den braven Sozialminister Norbert Blüm. Kohl setzte Pinochet mit dem braven DDR-Staatschef Erich Honecker gleich, was auch deshalb eine taktlose Geschichtsklitterung war, weil der CIA den Putsch voran getrieben hatte (Project FUBELT) und der BND zu den Mitwissern gehörte. Im Gegensatz zur Bundesrepublik verurteilte die DDR den Putsch und zog ihren Botschafter aus Chile ab.
Den Beschluss zur Stationierung modernisierter Mittelstrecken-Raketen 1983, die gegen die Sowjetunion gerichtet waren, trug Kohl verbissen mit.Die allseits gelobte national- und gar welthistorische Verdienst um die „Deutsche Einheit“, verbunden mit dem 2+4-Vertrag unter Protektion des Großen Bruders, war der letzte und größte Dienst Kohls am Kapital, am deutschen und US-amerikanischen besonders, aber auch aus anderen reichen Regionen. Der 2+4-Vertrag war nicht, wie seit Jahrzehnten demagogisch in Aussicht gestellt, ein Friedensvertrag. Die fälligen Entschädigungen für die Ausbeutung der europäischen Völker durch das Naziregime während des 2. Weltkriegs wurden Deutschland erlassen – wie schon einmal, 1953 bei der Londoner Schuldenkonferenz, in gleicher Konstellation mit Kohls Vorgänger Adenauer.
Der US-Protektor schob die ohnehin schrittweise herabgestuften Ex-Alliierten Großbritannien und Frankreich zur Seite und verschaffte dem Lieblingsvasallen den letzten Schub: Deutschland stieg nun, auch mithilfe des Euro und mit der unter Kohl schon begonnenen Niedriglöhnerei, auf zur dominierenden Macht in der Europäischen Union. Der „große Europäer“ Kohl hat möglicherweise die Brutalität nicht gewollt, mit der deutsches, US-amerikanisches und internationales Kapital die Ausbeutung des vereinten (West-)Europa von der osteuropäischen und balkanischen Peripherie her seitdem aufrollt. Und Kohl könnte vielleicht die haßerfüllt, profit- und machtgierige Aufrüstung der NATO gegen Russland und die neue Kriegsgefahr so nicht gewollt haben – aber den Weg dazu hat er bereitet.
Abgesang: Noch eine „Spenden-Affäre“
Sofort nach Ende seiner Kanzlerschaft wurde Kohl 1999 mit offenen Armen von Sponsoren empfangen. Der Medienunternehmer Leo Kirch stattete ihn mit einem „Beratervertrag“ über 50.000 DM pro Monat aus, also 600.000 DM im Jahr. Sein Freund Reinhard Pohl von der Deutschen Vermögensberatung berief den Ex-Kanzler in den Beirat seines Konzerns, in dem übrigens auch Theo Waigel und Kohl-Berater Horst Teltschik landeten, Kohls Kanzleramtschef Friedrich Bohl sogar im Vorstand. Und die Schweizer Großbank Crédit Suisse fand vermutlich ebenfalls nicht grundlos, dass der Ex-Kanzler ihren internationalen Beirat gut schmücken würde.
Mit dieser letzten der „Spenden-Affären“ – zum Skandal brachte es auch sie nicht - musste das nun den Sponsoren doch peinlich sein und Kohl wurde ein gutes Jahr später hinaus komplimentiert. Sein Ende hatte begonnen. Und nun beginnt die Verklärung. Wir sind schließlich ein christliches, barmherziges Land. Systemrelevante Blackouts eingeschlossen.
Letzte Buchveröffentlichung des Autors: Werner Rügemer: Bis diese Freiheit die Welt erleuchtet. Transatlantische Sittenbilder aus Politik und Wirtschaft, Geschichte und Kultur. Rundfunksendungen und verstreute Veröffentlichungen aus dreißig Jahren. Köln 2017, 226 Seiten, 14,90 Euro
Aus der Vielfalt seiner Veröffentlichungen, die ihm nebenbei auch drei Dutzend Gerichtsverfahren einbrachten, fasst Werner Rügemer hier eine Auswahl zusammen.
Dabei geht es nicht nur um die großen Fragen im transatlantischen Verhältnis, sondern auch darum, was sich in Städten, Kirchen, Unternehmen, Finanz-Oasen, Straßen, Gerichtssälen, Verwaltungen, Redaktionen tut – oder im Kunst-, Musik- und Literaturbetrieb. Manches aus der verleugneten Geschichte der Europäischen Union, der Bundesrepublik Deutschland, der Vereinigten Staaten von Amerika und das Eine oder Andere auch aus Köln, des Autors zufälliger Heimatstadt, kommt darin ans Licht.
Sein Buch versteht Rügemer als Kontrapunkt gegen professionelle Vergessensproduktion und machtgestützte Desinformation. Diesen Vorgeschichten der Gegenwart geht es auch um die Gestaltung künftiger Entwicklungen:
»Sie sollen wunde Punkte einer Herrschaft erkennen lassen, der die Zukunft des sich befreienden Teils der Menschheit nicht überlassen werden darf.«