25
Di, Feb
0 New Articles

Bertolt Brechts „Leben des Galilei" - Geistiges Gift für unsere Kinder im Deutschunterricht?

Bertolt Brecht_Bundesarchiv, Bild 183-W0409-300 / Kolbe, Jörg / CC-BY-SA 3.0

Gesellschaft
Typography
  • Smaller Small Medium Big Bigger
  • Default Helvetica Segoe Georgia Times

Während unseres Morgenspaziergangs im Tiergarten erfuhr ich von meinem Sohn, dass er in seiner Freizeit „Tod in Venedig" von Thomas Mann gelesen hatte. ,Für einen 15jährigen etwas früh, sich mit Altern und Sterben zu beschäftigen', dachte ich. Doch als er mir von seinen Erkenntnissen und Einsichten erzählte, erinnerte er mich gleichzeitig daran, welche Bedeutung die Begegnung mit großer Literatur haben kann. „Das könntet ihr doch in Deutsch lesen!" „Ha", rief er, „weißt du, was wir lesen? ,Galilei' von Brecht!" „Was ist denn so schlimm daran?", fragte ich. „Du kannst den Schwachsinn ja mal lesen, dann weißt du es", schlug er vor.

Schon wenige Tage später hatte ich das Schauspiel „Leben des Galilei" von Bertolt Brecht gelesen - und volles Verständnis für das vernichtende Urteil meines Sohnes gewonnen. Allerdings würde ich sein Prädikat „Schwachsinn" gern zu „gefährlicher Schwachsinn" erweitern. Geschrieben worden war das Werk 1938/39 im dänischen Exil, als Mitarbeiterin ist eine Margarete Steffin erwähnt. Der Inhalt entspricht der bekannten Weltsicht des Marxverehrers Brecht: Die Kirche - hier ganz besonders die Mönche -, der Adel und das Bürgertum kommen im Gegensatz zu den „kleinen Leuten" und dem Träger der Wissenschaft und des Fortschritts, Galileo Galilei, denkbar schlecht weg.

Der Brecht-Galilei begnügt sich zwar zu Beginn noch mit weltanschaulichphilosophischen Feststellungen wie „Himmel abgeschafft!" oder „Ein verrottetes Zeitalter", doch auf Seite 81 der Suhrkampausgabe wird er deutlicher: „Wer die Wahrheit nicht weiß, der ist bloß ein Dummkopf. Aber wer sie weiß und eine Lüge nennt, der ist ein Verbrecher!" Starker Tobak! Und ein paar Seiten weiter, Galilei jetzt zornig: „Dann keine Gnade mehr mit denen, die nicht geforscht haben und doch reden."

Carola Neher nach ihrer Verhaftung. Sie starb als Häftling  Nr. 59783 im Straflager an Typhus.

Ein Aufruf zur Gewalt und deshalb heute ein Fall für das Antidiskriminierungsgesetz, sollte man meinen. Beweismaterial hat Brecht, der Begründer des hochtrabend „episches Theater" genannten Agitprop-Geschehens reichlich fabriziert: Einen Balladensänger lässt er die Bibel in den Dreck werfen und ein obskures „Neues Zeitalter" besingen. Darin sollen die Fischweiber ihren Fisch „allein fressen", die Maurer den Bauherren die Steine wegnehmen und selbst ins Haus einziehen, die Pächter sollen dem Pachtherren ohne Scham in den Hintern treten und die Pachtfrau soll dem Pfaffen die Milch stehlen.

Kaum findet man Zeit, sich über derartige Enteignungs- und Gewaltprogrammatik die Augen zu reiben, wird schon der „Großherzog von Florenz" im Büßergewand - vermutlich zur Mordstätte - vorbeigekarrt. Maskierte Henker schleudern einen Kardinal in die Luft, und während ausgerechnet ein Kind eine große Bibel mit durchkreuzten Seiten hochhält, brüllt der Balladensänger unter Gelächter der Theatermenge: „Galileo Galilei, der Bibelzertrümmerer!" Anmerkung: 1938, als Brecht seinen Hassausbruch im friedlichen und gastfreundlichen Dänemark - welches, nebenbei erwähnt, bis heute über eine Staatskirche auf der Grundlage der (nicht durchkreuzten) Bibel verfügt - von Frau Steffln zu Papier bringen ließ, hatten im Land, in dem seine „Fischweiber, Maurer und Pächter" die Macht an sich gerissen hatten, schon einige Millionen ihr Leben verloren - und zwar bekanntlich nicht nur Großherzöge und Kardinäle.

In den Todeszonen dieses Staates namens Sowjetunion wurden übrigens auch zahllose Deutsche gequält, darunter sogar ehemalige Mitglieder der Brechtschen Schauspielertruppe; Carola Neher zum Beispiel, die „Polly" aus der „Dreigroschen-Oper", die wie viele andere „Kulturschaffende" so naiv war, den Verheißungen des „neuen Zeitalters" ä la Brecht zu trauen. Sie wurde 1935 in Moskau verhaftet (ihr Mann erschossen, ihr Kind weggenommen) und während sie durch die Torturen des Kerkers immer schwächer wurde (sie starb 1941 im Lager Sol-Ilezk) feilte Brecht gerade eifrig an seiner - ich bin versucht zu sagen - literarischen Kumpanei mit ihren Mördern.

Die meisten Deutschlehrer - davon kann sich jedermann durch Befragung dieser ins Befremdliche mutierten Spezies selbst überzeugen - wollen die niederträchtigen Gewaltund Mordaufrufe des Fabrikbesitzersohns Bertolt Brecht nicht so recht wahrhaben und stellen im Unterricht lieber den angeblich berechtigten Kampf seiner immerhin historisch verbürgten Figur des italienischen Mathematikers und Physikers Galilei gegen die Wissenschaftsfeindlichkeit der Kirche in den Vordergrund. Doch die schulische Vermittlung eines hinreichenden Überblicks sowohl über das eine wie über das andere Themengebiet setzt nicht nur ein Mindestmaß an Hintergrundkenntnis voraus - welches längst aus dem ideologisierten Wissensapparat hinaus gesäubert worden ist - sondern dürfte zudem die schulbürokratisch festgelegte Beschränktheit des Deutschunterrichts sprengen.

Um diesem Fiasko zu entgehen, lassen sich unsere wackeren Lehrer/ Innen mehr oder weniger kritiklos von der in Fragen der Wissenschaft angemaßten Autorität des Bibelzertrümmerers Brecht dazu verleiten, unseren wehrlosen Kindern das gleiche geistige Gift des Klassenhasses zu verabreichen, das die „Polly" ins Todeslager nach Sol-Ilezk befördert hat. Doch den hintergangenen Schülern soll an dieser Stelle zumindest eine kleine Kostprobe davon gegeben werden, was ihnen bei der Lektüre des durch Brecht schauderhaft verfälschten „Galilei" gewöhnlich vorenthalten wird: „Im Gegensatz zu dem, was in den meisten Darstellungen des Werdegangs der Naturwissenschaften zu lesen steht, erfand Galilei das Teleskop nicht, ebenso wenig wie das Mikroskop, das Thermometer oder die Pendeluhr. Er entdeckte weder das Trägheitsgesetz noch das Kräfte - oder Bewegungsparallelogramm noch die Sonnenflecken. Er leistete keinen Beitrag zur theoretischen Astronomie; er warf keine Gewichte vom schiefen Turm zu Pisa und bewies die Richtigkeit des kopernikanischen Systems nicht. Er wurde von der Inquisition nicht gefoltert, schmachtete nicht in ihren Verließen, sagte nicht: , und sie bewegt sich doch' und war kein Märtyrer der Wissenschaft." (So Arthur Koestler in seinem wissenschaftshistorischen Werk „Die Nachtwandler")


Dieses Bild von einem realen Vorkommnis, sowie hunderte weitere, wurde vom Aufseher D.S. Baldajew unter Lebensgefahr gezeichnet. Der Originaltext lautet: „Mach den Mund auf du gelehrte Ziege, und erzähl uns jetzt, wie du an deinem Institut bürgerliche Pseudowissenschaft getrieben und antisowjetische Genetik propagiert hast. Andernfalls sage ich dir, wirst du gleich durch den Hintern nach Luft schnappen."

Es ist offensichtlich: der Bibelkaputtmacher Brecht hat mit Galilei die falsche Figur aus dem Wachsfigurenkabinett der Geschichte gewählt. Denn sobald sie ins scharfe Licht der wissenschaftshistorischen Untersuchung gezogen wird, schmilzt mit ihr der „Unsterbliche Brecht" selbst, wie er im Klappentext der Suhrkampausgabe von 1970 genannt wird, auf durchaus irdische Maße zusammen. Doch soll es in der folgenden Bemerkung nicht um die merkwürdige Person des Galilei gehen, deren Schattenseiten sich Gott sei Dank in jüngster Zeit mehr und mehr verdiente Autoren angenommen haben, nein, es soll um den zornigen Glaubensverhöhner Brecht selbst gehen und um seine eigene monströse Wissenschaftsferne. Das „Leben des Galilei" enthält eine Reihe von bemerkenswerten Verheißungen, die in ein fernes goldenes Zeitalter weisen, „in dem es eine Lust ist zu leben", worin das „Denken zu den größten Vergnügungen der menschlichen Rasse gehört" und wo „auf jedem Marktplatz über Astronomie gesprochen werden wird".

Was im „Leben des Galilei" noch als Zukunftsmusik von 1610 ertönt, hat sich jedoch 1938, also zur Zeit der Niederschrift, bereits Gestalt verschafft und zwar in Form des von Brecht ebenfalls besungenen ersten Arbeiter- und Bauernstaats, der Sowjetunion. Wir wollen die astronomischen Kenntnisse der sowjetischen Fischweiber lieber nicht examinieren, doch immerhin sollte in dem Wunschland Brechts, in dem Klerus, Adel und Bourgeoisie die Wissenschaft nicht mehr behindern können, ein freier Geist ins Auge springen. Der sogenannte große Terror des Jahres 1937 - die schaurige Kunde stand ausführlich selbst in dänischen Zeitungen und gehörte zur Lektüre unseres Theatermannes - hatte tatsächlich den Geist vieler der begabten theoretischen Physiker der Sowjetunion befreit, nämlich vom Körper ihrer Besitzer. Eine der wichtigsten Ausbildungsstätten - um nur ein Beispiel zu nennen - die Physikalische Fakultät der Moskauer Universität, wurde durch Verhaftungen und Liquidierungen fast zugrunde gerichtet. Und Menschen, die sich aus „Vergnügen am Denken" mit der Einsteinschen Relativitätstheorie anfreunden wollten, erhielten sogleich Reisefreiheit nach Sibirien in die Gulags. Forscher, die sich mit dem jungen Wissenschaftszweig der Genetik befassten, bekamen ebenfalls frei.

Nikolai Iwanowitsch Wawilow; * 13.jul./ 25. November 1887greg. in Moskau; † 26. Januar 1943 in Saratow) war ein international hochangesehener russischer Botaniker, Genetiker und Forschungsreisender und als Mendelist ermordet.

Anstatt in ihr Institut zur Arbeit zu müssen, konnten sie Moskau besuchen und dort Schauprozesse, wo sie sogar mitunter die Hauptdarsteller waren. Die auf dem Gebiet der Humangenetik weltweit führenden Wissenschaftler Kolzow und Lewit wurden als „unter dem Deckmantel der Genetik auftretende faschistische Moralprediger"1 verleumdet, das Medizinisch-Genetische Institut aufgelöst und Lewit und seine Mitarbeiter verhaftet und ermordet. Ohne zu übertreiben kann man feststellen, dass der gesamte junge Forschungszweig der Genetik in der SU Ziel einer ideologisierten Wissens-Vernichtungskampagne war, der sich unser zum Galilei-Experten aufgeblähte Theatermann Brecht mit spitzer Feder andiente.

Es gibt sogar einen Namen, um den sich die sozialistische Zerstörungsorgie, die Brecht mit Aufrufen wie „Keine Gnade mit den feigen Seelen!"2 anfeuert, damals gedreht hat, ein Name, der selbst im Bühnenstück nicht vorkommt und von Brecht in diesem Zusammenhang wohlweislich nicht erwähnt wurde. Gleichwohl stellt er meines Erachtens den geheimen Schlüssel zum Hintergrundverständnis des knöchernen Textes dar. Es ist der Name Johann Gregor MendeF, Mönch und Naturforscher - und der Begründer eben der Genetik, die man im Machtbereich des „Neuen Zeitalters" nicht überlebte. Jedermann im kommunistischen Einflussbereich, also auch Brecht, kannte den Namen „Mendel", der in einem Atemzug mit Rassismus, Faschismus, Reaktion und Kirche genannt wurde. Dazu aber ganz im Gegensatz leuchtete der Name des Augustinermönchs im Westen, denn er stand für Bahn brechende Wissenschaft, die erstmalig Naturgesetze im Bereich der rätselhaften Vererbung erkennbar werden ließ und die bereits in den 30er Jahren in der Landwirtschaft erfolgreich angewendet wurde.³

Brecht, ganz Ideologe, übernahm das kommunistische Sprachstigma „Mendel, der Faschist". Nun wird erklärlich, warum er die Mönche im „Galilei" so auffällig wissenschaftsfeindlich, fanatisch und lächerlich erscheinen lässt. In seiner stupiden Parteinahme und um den „Mendelisten", also den verfemten Genetikern zu schaden, scheute er nicht davor zurück, den Massenschlächter Stalin in einem seiner klapprigen Gedichte als den „großen Ernteleiter des Sowjetvolkes" zu glorifizieren.. Zwar wurde dieses Gedicht, „Die Erziehung der Hirse", erst 1952 geschrieben, aber es endet mit dem Abschlachtruf: „Tod den Faschisten! Jätet das Unkraut aus!" Angesichts der ungezählten ermordeten russischen Genetiker, die als „Unkraut" und „Faschisten" verurteilt wurden, sollte doch dem naivsten Brecht-Verehrer einleuchten, gegen wen der Mordaufruf hauptsächlich gerichtet war.

Unter den Verfolgten war auch der weltweit führende Pflanzengenetiker N. I, Vavilov, Direktor des Instituts für Genetik der Akademie der Wissenschaften, der sich von der Richtigkeit der Mendelschen Regeln schon in jungen Jahren als Student in England überzeugt hatte. Auch ihm wurde in der „Heimat der Werktätigen" die Schlinge um den Hals gelegt.

Der Hassprediger Brecht genoss Reisefreiheit, doch Vavilov wurde 1939 unter dem Vorwand, er sei ein „Mendelist", die Ausreise nach Edinburgh untersagt, wo er zum Präsidenten des Internationalen Kongresses für Genetik gewählt worden war. Alles nur ein schauriges Missverständnis? Absolut nicht! Tatsächlich wurden die Entdeckungen Mendels bereits seit 1865 von Darwinisten ignoriert, lächerlich gemacht oder unterdrückt. Denn Mendel konnte Beweise für feststehende Erbeinheiten und die Konstanz der Arten vorlegen, die den Glaubensjüngern Darwins ein Dorn im Auge waren. Die sahen die Welt und das Leben lieber als Ergebnis eines ständigen Zufalls-Wirrwarrs von Selektion und Mutation und der Vererbung erworbener Eigenschaften, kurz Evolution genannt.4

Ein Schöpfergott, der zwar Variabilität innerhalb der Arten angelegt hatte, aber das evolutive Überschreiten der Artgrenze nicht vorgesehen hatte und nun gar durch das kluge Forschen eines Mönchs bestätigt wurde, das war schlicht die Katastrophe für Darwinisten und Kommunisten. Ihr wütendes Geheul gegen den Forscher aus Brunn wurde nun von Brecht flankiert, indem er die Galilei-Kulisse auf die Bühne schob. Subtext seines Stückes: ,Seht her! Die Kirche und besonders die Mönche waren schon damals Feinde der Wissenschaft! Und heute? Wieder ist es ein Mönch (Mendel), der den Fortschritt hemmt! Keine Gnade mit ihm und seinen Anhängern!'

Der fleißige Stückeschreiber Brecht aber „verreiste nach Diktat" ins sichere Exil in die USA. Auf dem Weg ins sonnige Kalifornien mochte er sich erstaunlicher Weise nicht lange im Land seines „großen Ernteleiters Stalin", das er durchqueren musste, aufhalten. Er hatte es so eilig, dass er sogar seine kranke Mitarbeiterin Margarete Steffin sterbend zurückließ. Die Klassenkämpferin fand, soweit bekannt, ihr Ende in einem Leningrader Krankenhaus. Doch Vavilov, der dabei gewesen war, mit Hilfe der Genetik eine leistungsfähige moderne Landwirtschaft aufzubauen, wurde als Anhänger des Mönchs Gregor Mendel endlosen Verhören unterworfen und nach Demütigungen und Foltern langsam und qualvoll zu Tode gebracht. Nach dem Krieg - die Heimat Johann Gregor Mendels war jetzt im Machtbereich der Sowjetunion wurde das Monument Johann Gregor Mendels aus dem Klostergarten zu Brunn entfernt und in eine Scheune verbannt, der epische Kulissenschieber Brecht jedoch von einem ahnungslosen Publikum fast überall auf der Welt beklatscht.

Etwa hundert Jahre konnten die Entdeckungen Johann Gregor Mendels von Darwinisten und Kommunisten unterdrückt werden, tausende, wenn nicht zehntausende Forscher verloren dabei ihre berufliche Existenz oder ihr Leben. Dass Brecht - getarnt als Rufer für die Wissenschaft - in dieser Tragödie die Nebenrolle einer kriechenden Kreatur übernahm, das würde sich lohnen unseren Kindern zu vermitteln; übrigens ganz im Sinne seines epischen Theaters, wo es heißt: „ Um aufzuklären, müsse beim Zuschauer ein Denkprozess ausgelöst werden. Dazu sollte er sich der Illusion des Theaters bewusst werden

Ich war einige Wochen beruflich unterwegs und freute mich schon darauf, mit meinem Sohn über Galilei zu sprechen. Aber als ich begann, stoppte er mich mit den Worten: „Papa, gib Dir keine Mühe, gegen unseren Deutschunterricht kommst du nicht an!" „Warum denn nicht?" „Das mit Galilei ist schon vorbei, wir haben gerade mit einem neuen Text begonnen." Ich: „Was ist es dieses Mal, Thomas Mann?" Er: „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui wieder was von Brecht!" LJ


1 S.95 Der Fall Lyssenko, Hoffmann und Campe, 1974,1. Auflage

1 S. 89 edition Suhrkamp, Leben des Galilei, 11. Auflage

3 „Der Genetiker Vavilov schlug bereits Anfang der 30er Jahre die Einführung von Hybrid-Maissorten vor, die in den USA auf Hunderttausenden von Quadratkilometern Ertragsverbesserungen von 20 bis 30% erbracht hatten." Aus: Der Fall Lyssenko, Hoffmann und Campe, 1974, 1. Auflage

4 Die Vererbung erworbener Eigenschaften war als Hinterlassenschaft darwinistischer Auffassungen auch ein integraler Bestandteil der kommunistischen Doktrin geworden (siehe z. B. Friedrich Engels [1876]: Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen. 14. Aufl., Berlin 1968.) Und genau dieser Kernpunkt der Auffassungen Darwins, Engels und Lyssenkos samt Gefolgschaft wurde von den Genetikern eindeutig und völlig zurecht abgelehnt. Aus der Sicht der marxistischen Ideologie war damit nichts Geringeres in Gefahr als die gesamte Evolutionstheorie und damit die theoretische Grundlage des Materialismus überhaupt und nicht zuletzt das allein über äußere Einflüsse schnell und fast endlos formbare sozialistische Menschenbild (von der Pflanzen- und Tierzucht ganz zu schweigen).

Dr. Wolf-Ekkehard Lönnig Mutationsgenetiker am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung Köln