Das britische Empire schuf gezielt eine Legende, die alle Konkurrenten täuschte und auch zum Evangelium der Verschwörungsliteratur wurde: Die Legende von den kleinen Ghetto-Krämern aus Frankfurt, die sich ungestört unerhörte Vermögen aufbauen konnten und zwei Generationen später teurere Paläste bauten als der Hochadel.
Es ist höchst auffällig, dass Figuren aus dem Empire wie Winston Churchill, Nesta Webster, William Guy Carr, Henry Ford oder die weiteren Publizisten der gefälschten “Protokolle von Zion” im englischsprachigen Raum die Märchen an ein Millionenpublikum verbreiteten. In Deutschland sollten die Märchen über die jüdische Weltverschwörung nach dem Ersten Weltkrieg die deutschen Nationalkonservativen ablenken von den Handlungen der angloamerikanischen Siegermacht.
Der Buchhalter
Mayer Amschel Rothschild, ein kleiner Händler aus der Frankfurter Judengasse, musste jedes Mal beim Verlassen seines Hauses die gelbe Markierung tragen, bei Einbruch der Dunkelheit zurück sein, beim Überqueren der Brücke über den Main Judensteuer zahlen und bei Aufforderung jedes Mal seinen Hut ziehen und sich verbeugen. Das Einsperren der Juden hatte im Prinzip keinen anderen Grund, als mehr Steuereinnahmen zu generieren. Man zahlte wie an die Mafia ein Schutzgeld.
Das Leben im dicht gepressten Ghetto war latent bedroht durch Großbrände, Seuchen und Pogrome (Massaker), was unweigerlich in einzelnen die nackte, psychopathsiche Ambition hervorbringen musste, dem Ghetto zu entkommen und in der kalten und grausamen Welt dort draußen zu Macht zu gelangen.
Je mehr Macht Mayer und seinen Söhnen später zugestanden wurde vom Adel, umso mehr war ihnen bewusst, wie tief sie jederzeit wieder abstürzen konnten, falls sie in Ungnade fallen. Die Bevölkerungen von Deutschland, Frankreich oder Großbritannien hätten hämische Schadenfreude verspürt, wenn sie eines Tages in der Zeitung gelesen hätten, dass eine reiche jüdische Familie namens Rothschild enteignet und ins Ghetto zurückgeworfen wurde.
Es gab kein eigenes Land der Juden, in das die Rothschilds notfalls hätten flüchten können, es gab keine einflussreiche jüdische Lobby in Europa, es gab keinen sicheren rechtlichen Bürgerstatus und man war der Willkür des herrschenden Adels komplett ausgeliefert. Mayer hatte im Alter von elf Jahren seine beiden Eltern bei einem Ausbruch der Pocken verloren, wobei die Überlebenschance außerhalb des Ghettos deutlich größer gewesen wäre. Nach dem Besuch einer Glaubensschule, der Mayers Begeisterung nicht so wecken konnte wie die Geschäftswelt, ging er mit 13 Jahren nach Hannover, Heimatort des britischen Königshauses, zu der Bank Oppenheim, um die fortgeschrittenen Formen des Handels zu lernen und er erfuhr von den Vorteilen, die der Job eines Hoffaktors mit sich bringt. Einer der Oppenheims diente in dieser Funktion dem Kurfürsten Clemens August I. von Bayern und belieferte den Hof mit Luxusgütern wie etwa seltenen Goldmünzen.
Mayer Amschel kehrte ungefähr im Jahr 1764 im Alter von zwanzig Jahren wieder nach Frankfurt zurück, wo zwar die Gesetze für Juden strikter, dafür aber die geschäftlichen Möglichkeiten größer waren.
Bild: Pixabay