Unter allen Bestandteilen des Strompreises werden die Netzentgelte die größte – und unvermeidbare - Dynamik entfalten. Es hat seinen Preis, Zufallsstrom in das Netz zu integrieren. Dafür muss das bisherige System aufrechterhalten werden. Zwei Systeme für eine Versorgungsaufgabe sind teuer und bringen uns in eine internationale Spitzenposition beim Preis und machen uns zum Loser bei der Wettbewerbsfähigkeit.
Eine der größten Merkwürdigkeiten im Wirtschaftsleben ist das Auftreten negativer Preise. Es ist ein Zeichen zerstörten Warenwertes und hängt von einem besonderen Angebots- und Nachfrageverhältnis ab.
Im ungünstigen Fall wird ein Anbieter sein Produkt, aus welchen Gründen auch immer, im Preis immer weiter senken müssen, bis es unverkäuflich wird und es auch niemand mehr geschenkt haben will. Dann stellt es einen Totalverlust dar, der in einigen Fällen sogar zu weiteren Kosten, nämlich denen der Entsorgung, führt.
Dies ist im europäischen Strommarkt der Fall, wenn der Bedarf gedeckt ist. Zusätzliche Einspeisung führt dann zum Anstieg der Netzfrequenz und zur Gefährdung der Netzsicherheit. Kommt die magische Waage aus Erzeugung und Verbrauch aus dem Gleichgewicht, kann auch zu viel Strom zum Kollaps führen. Im üblichen Regelbereich bestimmen nach der so genannten Merit-Order (Einsatzreihenfolge) die teuersten Kraftwerke den Strompreis. Das wird oft beklagt, ist aber in sich logisch. Auch auf jedem anderen Markt können Waren (gleicher Art und Qualität) bei einem bestimmten Bedarf einen bestimmten Preis erzielen, der sich am teuersten Anbieter orientiert.
Die Merit-Order greift, weil man die Herkunft des Stroms im Netz nicht kennzeichnen kann. Die Zuordnung von gelbem (yello-), grünem oder anderweitig buntem Strom ist nicht möglich, auch wenn man beim Elektro-Tetzel Grünstromzertifikate kaufen und seinen grauen Strom zeitgeistmäßig darstellen kann.
Jede andere Lösung müsste über vorgegebene Kontingente abgewickelt werden, ein Ansatz, der dem Markt widerspricht. Eine Alternative zum Spotmarkt gibt es ohnehin in Form von längerfristigen Einzelverträgen. Zahlreiche neue Anbieter am liberalisierten Strommarkt gingen zu Beginn der 2000er Jahre sehr schnell pleite, weil sie, auf sinkende Börsenpreise setzend, Dumpingpreise anboten und keine längerfristigen sichernden Verträge abschlossen. Ähnlich erging es Gasanbietern im Vorjahr.
Warum kommt es überhaupt zu dieser Situation, warum schaltet man bei einem Überangebot nicht einfach ab? Die „Erneuerbaren“ betreffend wirkt hier der Einspeisevorrang eines inzwischen anarchischen Erneuerbaren Energien Gesetzes (EEG), dass immer noch die Abnahmepflicht von Ökostrom für die Netzbetreiber unabhängig vom Bedarf vorschreibt. Was in Anfangszeiten des Gesetzes zu Beginn der 2000er Jahre noch sinnvoll erschien, um Nischentechnologien überhaupt eine Chance zu geben, ist heute bei einem etwa 50-prozentigen Anteil an der Stromproduktion völlig kontraproduktiv und preistreibend.
Die meisten der Wind- und Solaranlagen erhalten die EEG-Umlage, also einen festen Preis, der heute eine Mindestvergütung darstellt (bei hohen Börsenpreisen dagegen können die „Übergewinne“ eingestrichen werden). Diese Umlage muss gezahlt werden, auch wenn ein Stromüberschuss zu negativen Preisen im Ausland verklappt werden muss. Der deutsche Stromkunde zahlt also zweimal: Über die EEG-Umlage (früher finanziert über den Strompreis, dann mit Steuergeld, künftig über die gestiegene CO2-Bepreisung an der Tankstelle oder am Öltank) und über die Netzentgelte, die dann teilweise ins Ausland abfließen.
Kommt es aus Gründen von Netzrestriktionen, d.h. örtlichen Überlastungen, zur Abschaltung von Wind- oder Solaranlagen, so werden die Betreiber für den nicht abgenommenen (Phantom-)Strom entschädigt. Wie ist unter diesen völlig schrägen Bedingungen ein System „100-Prozent-Erneuerbar“ vorstellbar? Überhaupt nicht.
Nur für neue Windkraftanlagen gilt eine 6-Stunden-Regel, wonach ab der siebenten Stunde nicht mehr „entschädigt“ wird. Meist sind die Zeiten negativer Preise kürzer.
„Erneuerbare“ im Streichelzoo
Die gegenwärtigen „Erneuerbaren“ bringen etwa die Hälfte des Stromaufkommens in Deutschland, aber keinerlei Systemverantwortung für die Branche. Natürlicher Zufallsstrom wird in großen Mengen eingespeist. Um ihn aber verwenden zu können, ist ein vorhandenes Netz erforderlich, in das dieser Strom eingebettet und mit den so genannten Systemdienstleistungen versehen wird. Frequenz- und Spannungshaltung bleiben also den konventionellen, regelbaren Kraftwerken und den wenigen vorhandenen Stromspeichern vorbehalten. Die Zahl der Kraftwerke nimmt allerdings permanent ab.
Vor allem in Sommerzeiten und an Wochenenden mit geringem Bedarf entsteht ein Überangebot, so dass aus Gründen der Netzstabilität dieser Strom irgendwie untergebracht werden muss. Längst überfällig wäre eine große Reform des EEG, besser dessen Abschaffung. In jedem Fall sollte kein Zufallsstrom mehr gefördert werden, sondern übergangsweise nur noch emissionsarm eingespeister grund- und regellastfähiger Strom.
Die Ursache unseres Preisdesasters ist das nicht reformierte EEG, das eine rückwärtsgewandte grüne 80er-Jahre-Ideologie der 100-Prozent-Erneuerbar-Utopie praktiziert und im Zusammenhang mit der Anti-Atompolitik verheerend wirkt. Mehr als 50 Prozent der Stromproduktion im Jahresdurchschnitt, aber fast Null Prozent Systemverantwortung für die „Erneuerbaren“, so wird das nichts mit Dekarbonisierung und Vollvergrünung.
Natürlich können Wind- und Solaranlagen auch abgeregelt (gedrosselt) werden, aber ob beim nötigen Hochregeln der Wind noch weht oder die Sonne noch scheint, weiß niemand.
Warum schaltet man dann nicht die noch laufenden konventionellen Kraftwerke ab? Das ist begründet zum einen durch den notwendigen Erhalt der Regelfähigkeit im Netz. Die Vielzahl der Windkraftanlagen, ihre weitgehend gleichzeitigen Schwankungen der Einspeisung und die starke Abhängigkeit der Stromproduktion von der Windgeschwindigkeit (in dritter Potenz) führen zu hohen Gradienten von drei Gigawatt (GW) pro Stunde und noch mehr, wenn das Abflauen mit dem Sonnenuntergang oder das Auffrischen mit dem Sonnenaufgang zusammenfällt. Zur Ausregelung dieser Schwankungen müssen konventionelle Kraftwerke in großer Zahl am Netz bleiben, um zeitgerecht hoch- oder herunter fahren zu können. Sind sie außer Betrieb, dauert das Anfahren ein oder mehrere Stunden, abgesehen von Pumpspeicher- oder Gasturbinen-Kraftwerken.
Weiterhin müssen einige der konventionellen Kraftwerke auch Wärmelieferverträge erfüllen, auch im Sommer. Die Kraft-Wärme-gekoppelten Anlagen (KWK) können zwar die Anteile an Strom- und Wärmeproduktion verschieben, aber nicht ausschließlich Wärme produzieren. Hilfsweise errichtet man Power-to-Heat- Anlagen (Strom zu Wärme), die sich im Sommer bei niedrigen Preisen gut einsetzen lassen, deren Wirtschaftlichkeit allerdings im Winter bei hohen Strompreisen und hohem Wärmebedarf in Frage steht. Jedenfalls können Wärmekunden nicht mit Hinweis auf niedrige Strompreise abgeschaltet werden.
Gewinn und Verlust
Negative Preise am Markt sind nicht nur eine Perversion des Marktes, sondern ziehen auch perverse praktische Folgen nach sich. In den Stunden einer solchen Marktlage versuchen natürlich alle zwangsläufig noch produzierenden konventionellen Kraftwerke, ihre Erzeugung so weit als möglich abzusenken. Ist die technologisch machbare Mindestleistung erreicht, werden zusätzliche Pumpen, Lüfter und andere Aggregate zugeschaltet, auch wenn sie technologisch nicht erforderlich sind. Kurzfristig kann auch Dampf über so genannte Umleit- oder Reduzierstationen an den Turbinen vorbei geführt werden, wodurch die Energie im Kühlwasser landet.
Pumpspeicherwerke (PSW) nutzen die bezahlte Stromlieferung sehr gern, um die Oberbecken vollzupumpen. Insbesondere die Werke in Österreich und der Schweiz erzielen gute Preisdifferenzgeschäfte, in dem sie sich zweimal bezahlen lassen. Zum einen tagsüber für den Transport der Wassermassen auf den Berg. Nach Sonnenuntergang, wenn in Deutschland die PV-Module schlafen gehen und die Leute das Licht einschalten, wird, bildlich gesprochen, derselbe Strom für gutes Geld zurückverkauft. Ursache ist, dass wir nicht mehr rational in der Lage sind, unseren eigenen Tagesgang des Verbrauchs auszuregeln.
Am 16. Juli 2023 um 14 Uhr konnten beispielsweise PSW-Betreiber unter Zugabe von 60 Euro pro Megawattstunde ihr Wasser den Berg hochpumpen, um 22 Uhr lief das Wasser durch die Turbinen wieder hinab, dafür gab es aus Deutschland 106 Euro. Macht für die deutschen Stromkunden im Saldo 166 Euro auf dem Zettel der Netzentgelte. Dies ist auch ein Beitrag zum international gern gesehenen Abbau des deutschen Außenhandelsüberschusses.
Was aber, wenn die Oberbecken voll sind und es immer noch Geld für den Stromverbrauch gibt? Die Betreiber sind meist Aktiengesellschaften und der Gewinnerzielung für ihre Anteilseigner verpflichtet. Leicht zufallenden Profit kann man sich nicht entgehen lassen. Für Notfälle, Hochwasser oder Reparaturen besteht in der Regel die Möglichkeit, über Bypässe das Wasser ungenutzt ins Tal laufen zu lassen. Deutsche Stromkunden bezahlen dann künstliche Wasserfälle.
Nicht alle PSW, so auch das größte deutsche im thüringischen Goldisthal, haben einen Bypass. Im beschrieben Fall besteht aber die Möglichkeit, gleichzeitigen Pumpen- und Turbinenbetrieb zu fahren, so lässt sich die Regelleistung vermarkten und Blindleistung herstellen. Ob in der Praxis so verfahren wird, ist unklar. Vattenfall äußerte sich auf Anfrage dahingehend, dass überschüssiger Strom in Power-to-Heat-Anlagen (P2H) in Wärme umgewandelt und gespeichert wird. Auch diese Speicher sind aber irgendwann voll und der Wärmebedarf im Sommer ist gering. Nach mageren Jahren verdient Vattenfall als größter Wasserkraftbetreiber in Deutschland jedenfalls prächtig an seinen Werken.
Im Gegensatz zu den PSW, die als Speicher gleich zweimal verdienen können, an negativen wie auch positiven Preisen, haben andere Kunden an der Strombörse diese Möglichkeit nicht. Große Industrieunternehmen, die direkt an der Börse kaufen, wie auch Regionalversorger und Stadtwerke, können zu Zeiten negativer Preise nur so viel Strom wie möglich „verbraten“. Ob es nun leer laufende Maschinen, Elektroheizungen, Klimaanlagen oder andere Verbraucher sind, die ökonomische Vernunft gebietet, soviel Strom wie möglich zu liquidieren. Damit wird Geld verdient. Das ist betriebswirtschaftlich richtig, volkswirtschaftlich für Deutschland und seine Tarifkunden ein Desaster. Der Bevölkerung werden unterdessen Spartipps gegeben. Die Medien erwecken den Eindruck, die negativen Strompreise seinen normal und so hinzunehmen. Verschwiegen wird, wem es nutzt. Regierungspolitik erfüllt vollumfänglich die Forderungen der Erneuerbaren-Branche und deren Gewinnerwartung.