"Läutet der Bundestag am Mittwoch das Totenglöckchen für die Demokratie?" fragte die Regensburger Ärztin Ilka Martina Enger gestern auf facebook. Ihr Unkenruf kam nicht unbegründet. Tatsächlich hat das Parlament heute ein neues Infektionsschutz-Gesetz beschlossen, dass so weitreichende Ermächtigungen für den Gesundheitsminister und so weit reichende Einschränkungen in die Grundrechte und die verfassungsmäßige Ordnung unseres Landes vorsieht, dass es zumindest massiv diskutiert werden sollte.
Doch was geschieht stattdessen? Es wird durch gewunken im Parlament, und in vielen Medien (nicht allen) wird dieses Durchwinken fast verschwiegen. Im Vorfeld wurde zwar berichtet (so etwa bei RTL.de mit der Überschrift: "Neues Infektionsschutz-Gesetz: So profitieren Eltern und Krankenhäuser").
Suchte man dann aber am Mittwoch im Netz, war auf den ersten Blick nicht zu ersehen, ob und wie das Gesetz angenommen wurde - auch nicht auf der Startseite von tagesschau.de, wo dafür aber groß aus Ungarn "Massive Kritik an Orbans Notstandsgesetz" vermeldet wurde. In den wichtigsten Nachrichtensendungen im Land, heute um 19 Uhr und Tagesschau um 20 Uhr, wurde das Thema weitestgehend verschwiegen - und stattdessen nur die Hilfspakete gepriesen. Ein Totalversagen der beiden wichtigsten Sender im öffentlich-rechtlichen System. Erst auf der Seite des Bundestags, unter der Tagesordnung, wird man zweifelsfrei fündig: "Gesetzentwurf 19/18111 angenommen."
Dass ein Gesetz von derartiger Tragweise quasi unter Ausschluss von großen Teilen der Öffentlichkeit beschlossen wird, ist ein unfassbarer Vorgang - ganz unabhängig davon, ob man es für sinnvoll oder nicht sinnvoll erachtet. Zumindest vorab gab es noch Warnungen. Etwa von Florian Meinel, Professor für öffentliches Recht in Würzburg, der das Vorhaben für so gefährlich hält, "dass man kein Auge zudrücken, sondern beide Augen weit öffnen sollte", wie es in einem Artikel in der Süddeutschen Zeitung noch vor der Abstimmung hieß: "Nicht, weil es für den Gesundheitsschutz untauglich wäre, das ist nicht sein Thema. Sondern weil damit elementare Grundsätze der Verfassung unterlaufen würden: der Föderalismus und die Bindung der Regierung an parlamentarische Gesetze. Damit schlagen wir langfristig einen ganz problematischen Weg ein."