Es ist Viertel nach sieben und ich habe schon viel zu lange am Schreibtisch gesessen. Also mache ich mich auf zum Einkauf – beim Lidl. Ich schwinge mich auf mein mit Muskelkraft angetriebenes Fahrrad und überquere die Brücke zum Nachbarort. Die Straßen sind fast menschenleer, die Atmosphäre drückend.
Ich passiere den Friseur mit arabischer Schrift, der nur für Privattermine und nach dem Betätigen der Klingel öffnet, und sodann den polnischen Laden mit allerlei getrockneten Wurstwaren. Weiter geht’s, vorbei am IT-Laden mit dem schleimigen Iraner, der meinen PC nach zwei Tagen fertig repariert haben wollte, mich jedoch fast bedrohte, als ich mir nach einer Woche nachzufragen erlaubte, wann die Reparatur denn endlich fertig sei.
Danach biege ich beim schönen Altbau ab, den ein Deutscher an den höchstbietenden Türken verkauft hat und in dem es jetzt türkischen Kaffee gibt. Diesen typischen Fall von Ausverkauf der eigenen Heimat aus niederen Beweggründen, sprich: Gier, hat mein alteingesessener Bekannter dem Verkäufer nie verziehen und redet seitdem kein Wort mehr mit ihm. Für mich ist das ebenfalls Grund genug, nie wieder einen Fuß in das Café zu setzen.
Verfall und Tristesse
Ich fahre weiter, vorbei am versifften Pizzaservice und den beiden deutschen Familienmetzgereien, die nach Jahrzehnten erfolgreicher Aufbauarbeit keinen Nachfolger finden konnten. Die verdunkelten Schaufenster strahlen seit drei Jahren Verfall und Tristesse aus. Dafür brummen der türkische Dönerladen und das daran angeschlossene Café umso mehr. Tja, so weit kann man kommen, wenn man zusammenhält und das Geld zusammenlegt – statt dem anderen nicht einmal die billigste Wurst auf dem Brot zu gönnen oder ihn als kadavergehorsamer Biedermann wegen des falschen Maskensitzes zu denunzieren.