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In Aufruhr

Gesellschaft
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Ich bin in Aufruhr… Unser Land ist in Aufruhr wie wir es vielleicht zuletzt bei der Deutschen Wiedervereinigung erlebt haben. Heute liegt aber weder Freude noch Hoffnung in der Luft. Vielmehr greifen Sorgen und Ängste, Hass und Misstrauen in der Bevölkerung um sich.

Mit wachsender Besorgnis stelle ich fest, wie tief gespalten unser Land bereits ist, wie sich der Ton in immer selben Diskussionen verschärft. Die Rechten hetzen gegen angeblich schmarotzende und brandschatzende Invasoren und übertreffen sich gegenseitig mit tiefschwarzen Prognosen für das deutsche Vaterland, die Linken zelebrieren einen aberwitzigen Willkommenskult mit Teddys und bunten Bannern an Bahnhöfen und verschließen tapfer die Augen vor unangenehm realen Problemen. Beide Lager haben (in meinem Verständnis) den Weg des gesunden Menschenverstandes längst verlassen. Der größere und stillere Teil der Bevölkerung beobachtet die Entwicklungen mit wachsender Besorgnis. Hinter vorgehaltener Hand fällt seit dem vergangenen Jahr immer öfter das Wort „Bürgerkrieg“. Die Medien liefern in dieser aufgeheizten Stimmung tagtäglich neues Futter, um die Menschen immer weiter gegeneinander aufzuwiegeln. Und vielleicht auch um abzulenken? 

Abzulenken wovon? Richtig, von den Ursachen dieser Krise.

Mein Bruder sagte vor kurzem zu mir: „Ich möchte doch einfach nur in meiner friedlichen, schönen Welt leben.“ Diese friedliche, schöne Welt, auf die wir in den letzten 70 Jahren eines befriedeten Europas zurückschauen konnten, wird aufhören zu existieren, wenn wir uns der Ursachen nicht annehmen werden. Wir können sicher immer höhere Zäune bauen, um uns gegen die Auswirkungen von Krieg und Elend in Form von Flüchtlingen zu schützen. Wir können auch aus unserem tief empfundenen Schuldgefühl der Dritten Welt gegenüber versuchen, alle Menschen aufzunehmen, bis unsere eigene Gesellschaft kollabiert. Doch ein Rettungsboot, welches 100 Seelen fasst, wird zwangsläufig kentern, wenn es das Doppelte tragen muss. Und auch der größte Zaun wird überrannt werden, wenn das Elend und der Zorn der Ausgebeuteten und Vertriebenen anwächst. Was werden wir dann tun? Schießen wir dann auf diese Menschen? Wir sehen, es nützt nichts, sich nur mit den Symptomen zu befassen, welche nun zum ersten Mal auch die Bundesrepublik bedrohlich tangieren.  

Wenn ich zu Weihnachten Zahnschmerzen habe, werde ich mir eine ordentliche Dosis Schmerzmittel einverleiben, um dem akuten Zustand Herr zu werden. Aber spätestens am 27. Dezember werde ich einen Zahnarzt aufsuchen auch wenn ich befürchten muss, mich dort einer langwierigen und schmerzhaften Wurzelbehandlung unterziehen zu müssen.  Aber es hilft ja nichts! Werde ich weiterhin meine Symptome mit Medikamenten unterdrücken, wird der Ursachenherd nicht verschwinden, er wird höchstwahrscheinlich sogar neue und schwerwiegendere Komplikationen verursachen: Nach einer Weile wird sich der gesamte Kiefer entzünden. Die Schmerzen werden dann so gewaltig sein, dass mir keine Tablette mehr helfen kann, ich werde nicht mehr essen oder schlafen können. Und ignoriere ich dann immer noch die wachsende Entzündung in meinem Kopf, riskiere ich eine Hirnhautentzündung und schlussendlich meinen Tod.

Herunter gebrochen auf das Weltgeschehen, erlaube ich mir die gleiche Prognose: Werden wir weiterhin nur über Symptome streiten und die Ursachen ausblenden, werden wir die Hölle auf Erden erleben. Vielleicht nicht sofort, aber spätestens unsere Kinder werden einer anderen Welt gegenüberstehen. Was kann also nur unsere Aufgabe sein?

Wir müssen endlich aktiv werden!

Wir müssen versuchen, jene anzusprechen und wachzurütteln, die zu gern die Augen vor unangenehmen Wahrheiten verschließen. Wir müssen die Menschen in unserer Umgebung dafür sensibilisieren, was Krieg eigentlich bedeutet, den man hierzulande zum Glück nicht (mehr) am eigenen Leib spüren muss und nur noch aus Dokus bei N24 oder den Erzählungen der Großeltern kennt. Wir müssen versuchen, eine Brücke zu schlagen zwischen den verfeindeten Lagern der rechten Symptombekämpfer und der gutmenschlichen Realitätsverweigerer. Wir müssen immun sein gegen die Lügen, die Hetze und die Spalterei der politischen Parteien und der Medien, die auch diese, meine Zeilen gewiss als furchtbar böse, rechtspopulistische und unbedingt demagogische diffamieren würden…  Wir müssen als Menschen, die für Weltfrieden einstehen, zusammenrücken und allen Spaltungsversuchen zum Trotz zusammenhalten.

Das beinhaltet in meinem Verständnis auch, niemanden auszuschließen: Ob nun der Eine wöchentlich zu Pegida geht oder der Andere am liebsten als Linksautonomer bei Straßenschlachten Autoreifen anzündet, ist doch in dem Moment völlig irrelevant, in dem sich diese Leute einem gemeinsamen Ziel erklären: nämlich dem Frieden.  Die Ursachen für Krieg, Elend, Ausbeutung und Unrecht in unserer Welt korrelieren mit den immer selben Verursachern. Diese Verursache sind unser gemeinsamer Feind. Wenn wir es nicht schleunigst auf die Reihe kriegen, dass zu erkennen um gemeinsam gegen diesen Feind vorzugehen, wird sich diese Welt immer mehr zum Schlechten verändern und das werden wir auch in absehbarer Zeit hier in unserem heilen Europa und Deutschland spüren.

Mein Vater lächelt immer müde, wenn ich mich in dieser Art vor ihm empöre… Er sagt dann: „Julia, die Welt und die Menschen waren doch schon immer so. Was denkst du, wie deine Aussichten sind?“ Kurzzeitig verpassen mir solche Kommentare immer einen gewaltigen Schlag. Ich ertappe mich schließlich oft genug selber bei verzweifelten und resignierten Gedanken. Doch diese Frustration ist nie von Dauer. Sehr schnell rührt sich dann heftiger Widerstand in mir und ich entgegne meinem Vater:  „Die Welt war schon immer so, weil die Menschen genauso denken wie du und sich ihrem mehr oder weniger schwerem Schicksal fügen.“ Historisch gesehen, hatte eine Generation doch noch nie so gute Aussichten, politische Veränderungen zu erzwingen: Die Menschen in diesem Land sind gebildet und sind via Internet bundesweit, ja global verbunden. Wir haben also blendende Voraussetzungen. Und was haben wir schon zu verlieren? Wir können unser irdisches Dasein für uns, unsere Kinder und für die ganze Welt mit Sinn füllen. Dafür müssen wir nicht unsere Berufe an den Nagel hängen oder unsere Familien oder die gesamte Freizeit vernachlässigen. Es kostet uns nichts, offen für Solidarität zwischen den Völkern einzustehen. Es kostet uns nichts, Leute anzusprechen, die dann wieder andere wachrütteln. Es kostet uns nichts, den Fernseher auszuschalten und die hetzende Printpresse im Regal liegen zu lassen. Es kostet uns einen Montagabend in der Woche, sich zum friedlichen Spaziergang mit Gleichgesinnten auf der Straße zusammenzutun. (Ich meine damit übrigens nicht Pegida, aber es wäre schön, wenn sich von den kritischen Geistern dort, viele zu uns gesellen.)  Mit unserer wachsenden Zahl und unserer andauernden Präsenz können wir die Politik in diesem Land dazu bewegen (also zwingen), einen andern Kurs einzuschlagen, sofern die etablierten Parteien keine Wähler verlieren möchten. Unsere Forderungen an die Politik müssen unmissverständlich sein:  Austritt aus der NATO und Unterlassung jedweder militärischer Einmischung in anderen Ländern, sofortiger Stopp von Waffenexporten, Abzug der US-amerikanischen Militärbasen von deutschem Territorium, faire Handelsbedingungen gegenüber unseren internationalen Handelspartnern (insbesondere der Dritten Welt und Entwicklungsländern) und eine deutsche Diplomatie, die bedingungs- und selbstlos für Weltfrieden eintritt!

Wir haben bei alledem gar nichts zu verlieren, aber wir haben viel zu gewinnen. Nicht nur für uns, sondern für unsere Kinder. Für unsere Kinder und für die Kinder aus Syrien, aus Lybien, aus dem Jemen, aus Afghanistan, dem Irak und der Ukraine…

Kurt Kretschmann, Deutschlands erster Naturschützer und Vater des Naturschutzsymbols mit der Eule, hat im 2. WK als Sanitäter drei Winterfeldzüge in Russland erleben müssen und das Schlusswort seiner Memoarien soll diesen Text beschließen:

„…Es gibt nichts Schlimmeres als den Krieg. Und wer sich vorstellt, dass da irgendwelche Überlegungen zählen, der irrt sich gewaltig. [Man ist völlig ein Spielball von Zufällen.] In einer Zeit, in der noch Möglichkeiten bestehen, für den Frieden einzutreten, muss man sich immer dessen bewusst sein, dass es nichts Schrecklicheres als den Krieg gibt.“