§ 26: Die Anerkennung des Reichskonkordats durch die Bundesrepublik Deutschland
Läßt das Grundgesetz schon keinen Zweifel an der Fortgeltung des Reichskonkordats als Völker- und staatsrechtlich wirksamen Vertrages zu, so liegen seit der Gründung der Bundesrepublik bereits eine Reihe amtlicher Verlautbarungen vor, die in diesem Zusammenhang Beachtung verdienen.
Erstmalig hat der Bundespräsident anläßlich der Überreichung des Beglaubigungsschreibens des Apostolischen Nuntius im April 195 zu der Konkordatsfrage Stellung genommen und auf die Äußerungen des Nuntius: »Darüber hinaus ist es auch, und in besonderer Weise, ein Ausfluß jener feierlichen Sonderverpflichtung, die der Apostolische Stuhl in den verschiedenen Kirchenvertragen mit deutschen Regierungen übernommen hat und an deren fortdauernde Geltung er sich für deren gesamten Bereich gebunden erachtet«, erklärt:
»Ew. Exzellenz können bei der Erfüllung der hohen Aufgaben, die Sie erwarten, meiner und der Bundesregierung Aufmerksamkeit und Unterstützung gewiß sein, wohl eingedenk der vertraglichen Vereinbarungen, die frühere Regierungen mit dem Heiligen Stuhl eingegangen sind und an deren Fortbestand für das gesamte deutsche Gebiet auch die Bundesrepublik festhält.«
Mit diesen Worten konnte der Bundespräsident primär nur das Reichskonkordat gemeint haben, wenn dieses auch durch seinen Artikel 2 die Länderkonkordate einschließt, weil er zu Äußerungen bezüglich der Länderkonkordate als solche nicht direkt kompetent war. Dieses feierliche Anerkenntnis und Bekenntnis zur Vertragstreue des Bundespräsidenten Heuß ist deshalb besonders beachtlich, weil sich der Abgeordnete Heuß im parlamentarischen Rat noch gegen eine solche ausgesprochen hatte1].
Für die Bundesregierung erklärte Bundeskanzler Adenauer am 24. Januar 1953/2 ]: »Die Bundesregierung stellt sich aber insbesondere hinter das immer noch gültige Reichskonkordat mit dem Heiligen Stuhl, in dem das Deutsche Reich alle Freiheiten der Kirche besonders anerkannt hat. Es ist der feste Wille der Bundesregierung, diesen in der Vergangenheit verletzten Vertrag wieder voll zur Geltung zu bringen.«
Die Vorbereitungen für eine Verfassung des Landes Baden-Württemberg haben den Streit um die Auslegung - nicht wegen dessen Gültigkeit - des Reichskonkordats aufflammen lassen. In einer Note vom 15. September 1952 an das Auswärtige Amt erhob die Apostolische Nuntiatur Einwendungen gegen Artikel 15 dieses Verfassungsentwurfs, da er nicht in Einklang mit Artikel 23 Reichskonkordat zu bringen sei. Ministerpräsident R. Maier stellte zwar in seinem Schreiben vom 29. Oktober 1952 an den Bundesminister des Auswärtigen Amtes die Gültigkeit des Reichskonkordats nicht in Frage, wenn er ausführte: »Im Rahmen dieses Schulgesetzes werden auch die Fragen, die das Reichskonkordat aufwirft, zu klären sein«, doch versuchte er, durch Berufung auf Artikel 33 Reichskonkordat die Möglichkeit offen zu halten, auch eine diesem Vertrag nicht entsprechende Regelung zu erreichen ; »Was das Reichskonkordat betrifft, so hat die Regierung von Baden-Württemberg weder Anlaß noch überhaupt Gelegenheit, gegen dieses zu verstoßen.
Erst das kommende Schulgesetz, das, wie schon gesagt, nicht die derzeitige vorläufige Regierung, sondern die nach der Verabschiedung der Verfassung zu bildende endgültige Regierung auszuarbeiten hat, wird ein Urteil darüber ermöglichen, zu welchem Ergebnis die Prüfung der Fragen, die sich aus dem Reichskonkordat ergeben, geführt haben und welche Folgerungen die künftige Regierung daraus zieht. Soweit die vorläufige Regierung dazu berufen ist und Gelegenheit dazu hat, ist sie, wie es in Artikel 33 Reichskonkordat vorgesehen ist, zur Vorbereitung einer freundschaftlichen Lösung im gemeinsamen Einvernehmen bereit.«
In einem Schreiben vom 30. Mai 1953 an den Bundeskanzler und Bundesminister des Auswärtigen bringt der Apostolische Nuntius, in einer Note vom 3. 7. 1953 die Apostolische Nuntiatur, die vertragswidrigen Schulartikel des Baden-Württembergischen Verfassungsentwurfs erneut in Erinnerung. Am 17. 7. 1953 nahm das Auswärtige Amt in einer amtlichen Bekanntmachung zu dem Streit um denVerfassungsentwurf wie folgt Stellung 3:
»Der Ministerpräsident von Baden-Württemberg, Dr. Reinhold Maier, erklärte nach Zeitungsmeldungen, daß das Auswärtige Amt von seiner Regierung die Anerkennung des im Jahre 1933 zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan abgeschlossenen Konkordats in der neuen Landesverfassung verlangt habe. Die Landesregierung habe dem Auswärtigen Amt geantwortet, daß für die Verfassung allein das souveräne Landesparlament zuständig sei. Hierzu wird festgestellt, daß das Auswärtige Amt in Anerkennung der völkerrechtlichen Verpflichtungen, die der mit dem Deutschen Reich identischen Bundesrepublik aus dem Reichskonkordat obliegen, sich bemüht hat, das neue Bundesland auf Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, die sich aus der Unvereinbarkeit von völkerrechtlichen Verpflichtungen des Bundes und der neuen Verfassung von Baden-Württemberg ergeben könnten.Tatsächlich hat die Apostolische Nuntiatur in Deutschland in einer an die Bundesregierung gerichteten Note vom 15. September 1952 bereits beanstandet, daß der Verfassungs-Entwurf für das Land Baden- Württemberg im Hinblick auf die Bekenntnisschule Bestimmungen enthalte, die mit Artikel 23 des Reichskonkordats nicht vereinbar sei en. Völkerrechtliche Verträge, die für die Bundesrepublik verbindlich sind, müssen auch in den Ländern beachtetwerden. Eine andere Übung würde unabsehbare Folgen für die internationalen Beziehungen Deutschlands nach sich ziehen.«
Im Tätigkeitsbericht der Bundesregierung für das Jahr 1953 wird u. a. ausgeführt: »Auf dem Gebiete der Vorkriegsverträge spielte die Frage der Gültigkeit des Reichskonkordats... eine besondere Rolle. Wie auch in der Öffentlichkeit bekannt geworden ist, hatten sich hinsichtlich der Schulartikel der neuen badisch-württem- bergischen Verfassung eine Reihe von Zweifelsfragen und Meinungsverschiedenheiten ergeben. Die Bundesregierung hat sich dabei mit der nahezu einhelligen Ansicht der deutschen Völkerrechtswissen- schaft auf den Standpunkt gestellt, daß das Reichskonkordat, insbe sondere sein Schulartikel, für den Bund und die Länder bindendes Recht ist« 4].
Im Deutschen Bundestag beriefen sich erstmalig 15 Abgeordnete der FDP in einer Anfrage vom 31. Januar 1955 auf die Bestimmungen des Reichskonkordates, als bekannt wurde, daß der Pfar rer von Tann am 27. März 1954 in der Stadtpfarrkirche von Altötting ein Ehepaar, das keine nach dem Personenstandsgesetz gültige Ehe vor dem Standesbeamten geschlossen hatte, getraut hatte. In Absatz 3 dieser Anfrage heißt es u. a. : »Ist die Bundesregierung ins besondere bereit, unverzüglich beim Heiligen Stuhl für eine Klarstellung zu sorgen, daß diese Einstellung des Ordinariats und die ihr entsprechende Handlungsweise des Geistlichen dem Konkordat widerspricht?« 5]
In seinem Schreiben vom 24. 2. 1955 an den Präsidenten des Deutschen Bundestages erklärte der Bundesminister des Innern im Einvernehmen mit dem Bundesminister der Justiz und dem Auswärtigen Amt, daß nach den Ermittlungen der zuständigen Stellen die Handlungsweise des Pfarrers den Bestimmungen des Reichskonkordates widerspreche, aus welchem Grunde die Bundesregierung durch die Deutsche Botschaft am Vatikan beim Heiligen Stuhl entsprechende Vorstellungen erheben würde 6].
Die Bundesregierung hat weiterhin auf Antrag einiger deutscher Niederlassungen kirchlicher Genossenschaften in den Ländern Nord rhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz das in Artikel 15 Reichskonkordat vorgesehene Einvernehmen zu Unterstellung deutscher Ordensniederlassungen unter ausländische Provinzialobcre mit der vom Bundesminister des Innern eingeholten Zustimmung der beteiligten Landesregierungen herbeigeführt. Ferner hat Artikel 17 Reichskonkordat, der das kirchliche Eigentum, insbesondere an gottesdienstlichen Gebäuden, gewährleistet, besondere Berücksichtigung in den Entwürfen zum Bundesleistungs- und Landbeschaf- fungsgesetz insofern gefunden, als dieses Eigentum nicht nur nach Artikel 140Grundgesetz inVerbindung mit Artikel 138 Abs. 2 WRV sondern auch nach den vertraglichen Verpflichtungen des Reichs- und der Länderkonkordate, wie auch der evangelischen Kirchenverträge gewährleistet wird.
Der Apostolische Nuntius ist gemäß Artikel 3 Reichskonkordat (Schlußprotokoll) Doyen des bei der Bundesrepublik akkreditierten Diplomatischen Korps. Daß auch die Wissenschaft von der Völker- und staatsrechtlichen Gültigkeit des Reichskonkordates ausgeht, wurde mehrfach erwähnt. Erinnert sei noch an die Tagung der Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer in Marburg im Jahre 1952, bei der keiner der zahlreichen Anwesenden - auch nicht Prof. Jellinek - Bedenken gegen die Rechtsgültigkeit des Reichskonkordats und die Verpflichtung der Bundesrepublik und ihrer Länder aus dem Reichskonkordat erhoben hatten.
Der deutsche Botschafter beim Heiligen Stuhl betonte dem Heiligen Vater gegenüber anläßlich seines Amtsantrittes im Jahre 1954 ausdrücklich die Vertragstreue der Bundesrepublik in bezug auf das Reichskonkordat. Ähnliche Äußerungen machten einige Minister-Präsidenten der deutschen Länder gelegentlich eines Staatsbesuches dem Apostolischen Nuntius gegenüber.
Die Regierung von Niedersachsen allerdings setzte sich bei Erlaß ihres Schulgesetzes in Widerspruch zu den geltenden Bestimmungen des Grundgesetzes und des Reichskonkordates, welche Ministerpräsident Kopf am 24. 6. 54 vor dem Landtag als »mindestens zur Zeit... für Niedersachsen nicht bindend« erklärte. Auf Vorstellungen des Heiligen Stuhls sah sich die Bundesregierung daher veranlaßt, da sie die niedersächsische Regierung von ihrem wenig »bundesfreundlichem Verhalten« nicht abbringen konnte, um völkerrechtlichen Komplikationen vorzubeugen, im März 1955 eine Feststellungsklage bezüglich der Fortgeltung des Reichskonkordates vor dem Bundesverfassungsgericht zu erheben.
Da seit der Konstituierung der Deutschen Bundesrepublik im Jahre 1949 die Bundesregierung im Einklang mit der Lehre der überwiegenden Mehrheit der Staats- und Völkerrechtslehrer sich stets zur uneingeschränkten Rechtswirksamkeit des Reichskonkordates bekannt und dementsprechend gehandelt hat, wird keine deutsche Regierung mehr die Bestimmungen dieses Vertrages ignorieren können, ohne sich rechtlich und moralisch den Vorwurf der Vertragsuntreue zuzuziehen.
Der Bruch des Reichskonkordats würde aber nicht nur völkerrechtliche Komplikationen nach sich ziehen, sondern mit Sicherheit auch schwere innerpolitische Erschütterungen in der Bundesrepublik zur Folge haben. Denn dieser Vertrag berührt nicht nur das Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Katholischen Kirche, sondern er erregt, wie ausgeführt wurde, auch stärkstes Interesse bei der Mehrheit der evangelischen und katholischen Christen, die getreu zu den eingegangenen Verpflichtungen steht und im Reichskonkordat auch heute noch einen Staats- und völkerrechtlich vollwirksamen Vertrag sieht.
Wenn manchen politischen Richtungen der eine oder andere Artikel des Reichskonkordats nicht gefallen mag, so mögen diese Kritiker sich vergegenwärtigen, daß das Reichskonkordat manche Bestimmung enthält, deren Aufrechterhaltung dem Staat bedeutende Rechte sichert und für den Heiligen Stuhl große Verzichte bedeutet. Es sei nur auf die Artikeln (Diözesancircumscription) 12 (Voraussetzung für die Tätigkeit der Geistlichen - Staatliches Recht bei Bischofsernennungen) 15 (s.o.) 16 (Bischofseid) 29 (Minderheitenrecht) hingewiesen.Weiterhin: Das katholische Polen wartet seit langem auf die Besetzung der vakanten Bischofssitze in Breslau und Frauenburg, und es ist hinlänglich bekannt, daß die Berufung des Heiligen Stuhles auf seine Verpflichtungen aus Artikel 11 Reichskonkordat und die daraus resultierende Verweigerung zur Erfüllung der Wünsche der polnischen Regierung bezüglich der Besetzung dieser Bischofssitze mit polnischen Prälaten, in erheblichem Maße zu den Spannungen beigetragen hat, die zwischen Polen und dem Heiligen Stuhl entstanden sind und die in Polen zur Verfolgung führender Katholiken geführt haben.
Auch die vergeblichen Bemühungen Frankreichs um ein eigenes Saarbistum mögen noch einmal erwähnt werden. Das Reichskonkordat ist der einzige völkerrechtliche Vertrag, der dem deutschen Volk noch verbriefte Rechte auf seine ihm genommenen Ostprovinzen und das Saarland gewährleistet. Es ist der letzte völkerrechtliche Vertrag des Deutschen Reiches, der noch für beide Teile des zerrissenen Vaterlandes gleichermaßen Gültigkeit hat. Welcher Politiker möchte die Verantwortung dafür übernehmen, dieses letzte Band, das das geteilte Deutschland noch verbindet, zu zerschneiden ?
So wird das Reichskonkordat in naher Zukunft noch mehr als auf dem innenpolitischen auch auf dem außenpolitischen Gebiet eine erhebliche Bedeutung gewinnen. Den verantwortlichen Staatsmännern möge bewußt bleiben, daß Verträge gehalten werden müssen.
Quelle: Herbert Groppe, Das Reichskonkordat v. 20. Juli 1933, Eine Studie zur staats- und völkerrechtlichen Bedeutung dieses Vertrages für die Bundesrepublik Deutschland, Verlag J.P. Bachem in Köln
Download: Reichgesetzblatt, Konkordat zwischen dem heiligen Stuhl und dem Deutschen Reich, Quelle: Bundesministerium des Inneren, PDF
Bild: Wiki, Bundesarchiv